Odyssee durch Pointe-Noire

 

Jetzt ist’s bald 6 Monate her, dass sich eine junge naiv-motivierte „Mundele“ in den Flieger nach Pointe-Noire gesetzt hat.                                Hier gibt es so viel zu tun und zu erleben, dass ich leider kurzfristig meinen Blog veruntreut habe. Sollte nicht wieder vorkommen!

 

Erst nach dem Besuch der Familie meiner Mitvolontärin Magdalena (22.12.-03.01.) stellte sich heraus an wie viele (für uns schon ganz alltägliche) Gegebenheiten man sich erst gewöhnen muss. Dazu zählt zunächst das Straßenbild. Ich wage also den Versuch, schriftlich etwas zu beschreiben was man nicht einmal mit Fotos einigermaßen adäquat wiedergeben kann. Zunächst ist „Straße“ nicht gleich „Straße“. Das gut asphaltierte Stadtzentrum erweckt in jedem ahnungslosen Neuankömmling heimatliche Gefühle. Er denkt vielleicht nicht an Österreich (dazu liegt zu viel Sand auf der Straße, der die Nähe zum Meer verrät) aber das Straßenbild ist mit Südeuropa durchaus vergleichbar. Im Stadtzentrum gibt es mehrspurige asphaltierte Boulevards gesäumt von mehrstöckigen Betonbauten. Viele Gebäude haben ihre besten Tage schon hinter sich und ihren Zenit überschritten - oder diesen noch gar nicht erreicht. Sprich es sind Dauerbaustellen, die oft erst Jahre später (oder nie) beendet werden- je nach gerade vorhandenem Budget. Da reihen sich alte repräsentativ-eingerichtete Gebäude aus der Kolonialzeit (wie die Post, das Rathaus oder der Bahnhof) an geschmacklose Zweckbauten, die wiederum an ein exzentrisches Luxushotels mit olympischem Swimmingpool grenzen.  Eine Boutique steht neben der anderen und man findet alles von Markenbrillen bis zu Döner-Kebab. Gut gekleidete, fast schon übertrieben geschminkte Frauengrüppchen werden von Männern beim flanieren hinterher gepfiffen. Auf einem großen Reklameschild bezeugt eine künstlich lächelnde Familie die Bekömmlichkeit der neuseeländischen Pulvermilch. In den Geschäften hängen aufblitzende Schilder mit „open“ oder „sale“. Oft ist der ganze Laden von außen mit einem Produkt bemalt das im Inneren verkauft wird. Man macht also nicht Werbung mit dem Namen des Geschäfts, sondern mit einem renommierten und gut bekannten Produkt das dort angeboten wird. Am beliebtesten ist,so weit ich das beurteilen kann, die rot-weiße Mineralwasserflasche „Mayo“ die oft ganze Fassaden ziert. Soweit so gut.

 

Auf den zweiten Blick findet man doch einige charakteristische Merkmale, die darauf hinweisen,  in einer äquatorial-afrikanischen Wirtschaftsmetropole gelandet zu sein. Neben jedem Fenster einer reichen Innenstadtwohnung häng eine laut surrende Klimaanlage die den ganzen Tag damit beschäftigt ist ihren Eigentümern  durch arktische 10°C einen Dauerschnupfen zu besorgen. Und da wäre dann noch die Sache mit dem Sand. Egal wie gut die Straße gekehrt ist oder wie viel es geregnet hat-irgendwie ist kein Ort vor dem feinen Staub sicher. Hartnäckig klammert er sich an Gebäude, Gewand oder Gehsteig und lässt sich beim besten Willen nicht mehr entfernen. Bei Hinzufügung  von Wasser (sei es Dusche oder Regen) werden die Körner nicht weggespült, sondern bilden einen Matsch der nach der Verdunstung noch schlimmere Spuren hinterlässt. Sand am Strand ist ja schön und gut und hat uns in der ersten Zeit viel Freude bereitet, doch als wir dann unseren persönlichen Strand im Bett und im Kleiderschrank hatten war der Spaß vorbei.

 

Wo war ich? Ach ja. Straßenbild.

 

In Strandnähe häufen sich teure Villen, eingemauert von 2 Meter hohen Stacheldrahtzäunen inklusive Videoüberwachung und Security-Mann. Hier und dort steht eine Palme (ich bin noch nicht in Lebensgefahr da die Kokosnüsse erst im Sommer reif werden) oder ein anderer Baum, den ich noch nie zuvor in Europa gesehen habe. Weiter außerhalb stehen auch ziemlich trostlose Industriegebäude, Speditionsunternehmen oder Hafengebäude. Da gibt es die Brauerei „Primus“, die ein kongolesisches Bier hier in Pointe-Noire herstellt. Am Nördlichen Ende der Stadt stehen unzählige Hafengebäude und Umschlagareale.

 

Um euch noch einen besseren Eindruck von dem hiesigen Straßenbild geben zu können, lade ich zu einer imaginären Reise vom unserem Haus zum Strand von Pointe-Noire ein. Dabei bereist man mindestens 3 verschiedene Länder in 20 Minuten. Die Odyssee beginnt rund 100 Meter neben unserem Haus. Dort gibt es eine Tankstelle an der die Busse (sprich die umgebauten chinesischen VW-Busse) stehen bleiben. Einen Busfahrplan gibt es nicht. Wir stellen uns also geduldig an den Straßenrand und warten auf den passenden Bus. Da! Im zähflüssigen Nachmittagsverkehr tuckert uns ein blau-gelb gefärbtes Gefährt entgegen. Leider der Falsche! Bei näherem Hinsehen haben wir den roten Vierer hinter der Windschutzscheibe entdeckt und wir brauchen den Einser. Doch kaum 30 Sekunden später erblicken wir den ersehnten 1er-Bus. Wir winken dem Kassierer / Menschen-in-den-Bus-Schlichter / Haltansager, der gerade mit letzterer Tätigkeit beschäftigt ist und begeistert „Grand Marché, la Ville“ ruft. Alle Plätze sind besetzt, aber irgendwie (Afrikanische Hexerei?) passen wir doch hinein und rumpeln Richtung Stadt. Das Gute am Eingequetscht sein ist, dass man beim nächsten Schlagloch nicht unbedingt eine Beule riskiert. Wenn man Glück hat werden die Straßenunebenheiten von den breiten Hüften der Busnachbarin abgedämpft und der Kopf bleibt wenigstens bis zur Rückfahrt von Beulen verschont. Allen paar Meter klopft der Menschenschlichter  gegen die Türe um dem Fahrer einen Stopp zu signalisieren. Zwei Frauen mit Einkaufstaschen steigen aus und ein Schulkind und ein alter Mann steigen ein. Man spricht nicht viel und wenn dann über uns Europäer, die sonst immer die Busse meiden und in luxuriösen Schlitten durch die Stadt rasen. In halsbrecherischen Manövern sausen wir an anderen Vehikeln vorbei und sind dabei schon gefährlich weit auf der anderen Straßenseite nur um darauf in einem weiteren Manöver ein Schlagloch auszuweichen. Man muss die Bus-Route kennen denn im Normalfall sagen weder Fahrer noch Menschenschlichter Halts an und der Bus bleibt prinzipiell dann erst stehen wenn jemand ein- oder aussteigen will. Es gibt jedoch gewisse Stellen an denen der Bus so gut wie immer stehen bleibt. Die Pflichthaltestelle unserer Fahrt ist das Krankenhaus unseres Viertels Tiè-Tiè. Es ist von einem hohen Eisengitter umgeben vor dem sich meistens eine große Menschenmenge ansammelt. Wir fahren weiter vorbei an Läden und Straßenhändler, Schülergruppen in Uniform oder Mütter mit ihren Babys am Rücken. Wir kämpfen uns in den Kreisverkehr (falls es sowas wie Vorrangregeln gibt werden diese nicht beachtet und eventuelle Schilder, die auf ein entsprechendes Gebot hinweisen könnten, wurden - laut Freunden – von Metallbegeisterten Händlern abmontiert). Schließlich nehmen wir die linke Ausfahrt – meistens zumindest, denn es gibt keine vorgeschriebenen Busrouten und wenn es mal Stau gibt (den gibt’s hier öfters) kann es sein, dass der Bus spontan eine andere Strecke nimmt um schneller anzukommen.

 

Im Normalfall erreichen wir gleich die nächste Pflichthaltestelle und somit ein neues Land auf unserer Reise: Die große Moschee. Es wirkt als ob wir auf einem arabischen Bazar gelandet sind und wir schauen uns etwas um. Der Straßenrand ist voll von kleinen Ständen, fliegenden Händlern, Passanten und auch Tieren die zum Verkauf angeboten werden. Nicht nur der Kleidungsstil der hier beheimateten Kongolesen lässt uns vermuten, dass wir das muslimische Viertel erreicht haben. In den Läden (das ganze Viertel scheint nur aus Läden zu bestehen und wird daher auch „großer Markt“ genannt) kann man egal zu welcher Tageszeit betende Muslime auf ihren Gebetsteppichen sehen. Die Mehrheit der Läden wird von Männern geführt wohingegen die Frauen, wie es scheint, bevorzugt ihre Stände am Straßenrand aufbauen. Sie sitzen allein, zu Zweit oder in Grüppchen beisammen hinter oder besser gesagt in ihrem Stand. Der Stand selbst ist ein aus Sperrholz zusammengenagelter Tisch wobei jeder Zentimeter mit Ware gefüllt ist, sei es Lebensmittel, Unterwäsche, Magazine aus dem letzten Jahrzehnt, Sim-Karten oder Selbstgebackenes. Manchmal, gerade zur Mittagszeit am Markt in unserem Viertel Tiè-Tiè, beobachteten wir Frauen, die sich mit ihren Kindern direkt zwischen die Waren legen und so praktisch am Tisch ein Mittagsschläfchen halten. Wenn man einen Blick auf den Boden wirft versteht man, wieso es sich die Verkäuferinnen lieber zwischen ihren Waren bequem machen. Jedes Paar Füße, dass auf die 20 Zentimeter Erde zwischen den Ständen tritt, macht den ohnehin schon weichen Boden noch maroder als er schon ist. Und gerade nach einem tropischen Regenschauer steht man leicht bis zu den Knöcheln im Schlamm. Wenn man so wie wir den Komfort von  Gummistiefel genießt, macht es einen Riesenspaß wie ein Kind im Matsch rumzulaufen und man ertappt sich dabei, den Kongolesen mit ihren Flip-Flops mitleidige Blicke zuzuwerfen. Nachdem ich allerdings selbst einmal versucht hatte mit Flip-Flops im knöcheltiefen Matsch einzukaufen, wandelte sich mein Gefühl für die Kongolesinnen in ehrfürchtige Bewunderung. Und ich selbst wurde bei jedem Schritt nur frustrierter.  Scarlene, die Köchin, hatte uns ja vorher gewarnt. Als zum fünften Mal meine Sandale im Schlamm stecken blieb, ich barfuß zwei Schritte zurückhumpeln musste und dabei von den drängenden Einkäufern fast um gerempelt wurde, beschloss ich meinen Versuch es den Kongolesinnen gleichzutun aufzugeben. Das demotivierende daran ist, dass Kongolesinnen scheinbar schwerelos über dem Schlamm schweben und von einem Stein sehr geschickt zum anderen springen ohne dabei wirklich dreckig zu werden. Genauso schwerelos bahnen sich auch große, weiße Stelzvögel ihren Weg durch Matsch und Pfützen. Dieses, in unserem Viertel omnipräsentes Vogelvieh scheint sich nur von Müll zu ernähren. Sie fehlen jedenfalls auf keinem der vielen großen und kleinen, bunten Häufchen am Straßenrand. Ihr Äußeres mag dem eines Kranichs oder Zwergstorchs durchaus ähneln, aber im Gegensatz zu seinen majestätischen großen Brüdern wirkt der kongolesische Vertreter verschlagen und hinterhältig. Sein weißes Gefieder ist von Schlamm und Witterung verdreckt und lässt mich an niederträchtige Arbeit erinnern. Außerdem habe ich diesen Vogel noch nie beobachtet wie er sich in die Lüfte erhebt; bei Gefahr läuft er auf seinen schlaksigen Beinen laut schreiend davon.  Soweit zum Markt bei uns im Viertel.

 

 Am großen Markt hingegen sind die Gässchen größtenteils betoniert und in der Mitte läuft eine kleine Vertiefung die sowohl als Regenrinne als auch als Mistkübel verwendet wird. In dem Viertel kann man alles -  wirklich alles, von lebendiger Ziege bis Kotflügel jeder Automarke finden. Man muss sich nur auskennen. Für Ortsunkundige wie uns Volontäre ist das nicht so leicht. Als wir Gewand und traditionelle Stoffe suchten, fanden wir uns plötzlich in einer Straße wieder in der es ausschließlich Ventilatoren zu geben scheint. Bei unserem nächsten Ausflug suchten wir den Gemüsemarkt und befanden uns plötzlich in der Kleidergasse. Die kleinen Gassen, die orthogonal zu den befahrbaren Straßen verlaufen, erinnern mich unwillkürlich an den Orient, wie man ihn aus Fernsehdokumentationen kennt. Vor den Läden sitzen ältere Väter mit Bart, die oft Migranten aus Senegal oder anderen westafrikanischen Ländern sind und hier ihr Geschäft machen. Auffällig oft haben sie neben sich eine Teekanne stehen mit der sie von Zeit zu Zeit ihre Füße waschen. In diesem Gässchen-Labyrinth haben wir uns schon des Öfteren verirrt, doch an der großen Moschee kann man sich immer gut orientieren.

 

Zwischen den arabisch anmutenden Läden gibt es auch viele asiatische Geschäfte. In einer heißen überfüllten Boutique wird – „made in china“ – alles angeboten was das Herz begehrt oder zu begehren glaubt, denn oft ist es im Nachhinein gesehen unnötiger Krimskrams. In den Augen der Kongolesen gibt es auch „weiße“ Verkäufer denn Bewohner des Maghreb werden hier bereits als „weiß“ bezeichnet. Europäische Händler findet man hier am großen Markt nicht. Dazu müssen wir mit dem Bus noch ein Stückchen weiterfahren – vorbei am größten Kreisverkehr der Welt (meine Einschätzung) bis ins Stadtzentrum. Wir erreichen das bereits beschriebene „Europa“. Den ersten Stopp machen wir beim „Institut français culturel“, dem französischen Pendant zum Goethe Institut. Dort gibt es ein vielfältiges kulturelles Angebot bestehend aus Theater und Konzerten am Abend, eine gut bestückte Bibliothek und Sprachkursen. Der Jahresbeitrag ist für Schüler rund € 5,- und für jeden empfehlenswert. Wir haben mit zwei unserer Klassen den Bücherklub wiedereingeführt, um die Schüler zum Lesen zu motivieren.  Dazu gehören neben einer Lesenacht natürlich auch ein Besuch beim IFC und die Inskripierung.

 

Nächster Halt: Afrika-Markt. In einer Seitenstraße haben Händler einen klischeehaften Afrika-Markt mit Holzstatuen, Savannenbilder und bunten Afrika-Kleidern eröffnet. Ein Afrika-Tourist (mit viel Geld in seiner Tasche) kommt dort voll auf seine Kosten. Einheimische (mit Ausnahme der Verkäufer) sieht man dort allerdings so gut wie nie. Gleich um die Ecke befindet sich eine Privatklinik bei der eine Freundin von mir für eine Ohrenuntersuchung bereits umgerechnet 60€ bezahlt hat – das entspricht dem Monatslohn vieler Kongolesen. Dieses Beispiel zeigt wie schwer ein Leben für die Kongolesen in Gesundheit ohne Krankenkassa und Versicherung ist.

 

Wieder ein Stück weiter befindet sich ein Café –auf gefühlte 12°C runter gekühlt.  Wenn wir mal Europa-Heimweh habe kaufen wir dort zu horrenden Preisen einen Schoko-Vanille-Frappe, schauen uns um in die Gesichter anderer Europaflüchtlinge, haben ausnahmsweise eine gedruckte Rechnung in der Hand und fühlen uns richtig wie daheim. Das gleiche Gefühl bekommt man im „Casino“ – so heißt der europäische Supermarkt in dem man alles frisch eingeflogen aus Frankreich bekommt. Außer Semmelbrösel. Auf die mussten wir beim Backen unserer Schnitzel verzichten. Apropos Schnitzel: für 5 Stück Putenfilet haben wir umgerechnet 15€ bezahlt und meiden seither das Casino aus mehreren Gründen. Zum Preis kommt nämlich auch die unfreundliche Atmosphäre. Die Klimaanlage schafft es irgendwie mit der Raumtemperatur auch das Gemüt der Menschen zu kühlen: gehetzte Verkäufer, unfreundliche Einkäufer, schlechtes Service. Das wiederum verstärkt unser Europagefühl. 

 

Weiter geht’s zum einzigen Buchgeschäft der Stadt. Ich übertreibe nicht. Für eine Million Einwohner gibt es eine Buchhandlung. Man kann zwar auf der Straße so manches Buch und viele Magazine finden, aber bei näherem Hinsehen mussten wir leider feststellen, dass das Hollywood-Magazin aus 2012 und das Fußballheft daneben aus 2009 kam.

 

Wir nähern uns nun schon dem Strand. Uns trennen nur noch der Hauptbahnhof und das Postgebäude von dem kühlenden Nass. Gleich der lang ersehnte Blick auf das Meer und wir erreichen endlich die Tropen. Palmen, Strandclubs und Wellen häufen sich in Ufernähe und ein langer Sandstrand lädt zum flanieren ein. Halb Pointe-Noire trifft sich dort sonntags – egal ob Kongolese, Chinese oder Mundele – zum sehen und gesehen werden. Nicht jedoch zum Baden wie man eigentlich annehmen würde. Da die Mehrheit der Kongolesen nicht schwimmen kann und die Atlantikwellen sehr hoch sind, trauen sich nur vereinzelte Verrückte (ich zähle mich stolz dazu) weiter als fünf Meter ins Wasser. Als meerlose Österreicherinnen genießen wir jede Möglichkeit unsere von der Tropensonne überhitzten Körper abzukühlen und kämpfen uns mindestens einmal pro Woche durch zu den kühlenden Atlantikwellen. Die Zeit am Strand vergeht so schnell, dass wir oft noch im Wasser von der hereinbrechenden Dunkelheit überrascht werden. Da sich Pointe-Noire nur knapp unter dem Äquator befindet, dauert der kongolesische Tag ziemlich genau 12 Stunden – das ganze Jahr über. Dementsprechend schnell vergeht der Übergang von Tag zu Nacht. Sowohl auf die Morgendämmerung mit Nebelschwaden als auch auf die Blauen Stunden am Abend zwischen Sonnenuntergang und Nachteinbruch, muss ich hier verzichten. Wenn um 5:45 Uhr mein Wecker läutet ist es stockfinster und außer dem vielstimmigen Vogelchor deutet nichts auf das heranbrechende Morgengrauen hin. Eine halbe Stunde später, wenn ich mich auf dem Weg von unserem Haus zur Morgenmesse mache, ist die Stadt mit ihren Gerüchen und Geräuschen bereits zu Leben erwacht und natürliches Tageslicht erhellt die Gässchen und Straßen vollkommen ausreichend. Besonders spektakulär ist der Sonnenuntergang am Meer. Innerhalb von Minuten versinkt eine große, zinnoberrote Kugel ins Meer und nimmt binnen kürze das gesamte Licht mit. Es erstaunt mich jedes Mal wieder, dass sich Lichtspektrum und Größe  eines Sternes bereits dann verändert, wenn man auf einem seiner Planeten mehrere Kilometer reist. Auch der Nachthimmel hier im Kongo ist es wert, näher betrachtet zu werden. Zunächst sind bei sternenklaren Nächten zirka doppelt so viele leuchtende Himmelskörper zu sehen wie bei uns. Oft bleibe ich abends wenn wir von den Chorproben heimkommen voller Bewunderung stehen und bestaune den Nachthimmel. Dabei werde ich von unseren kongolesischen Freunden, wegen meinem in ihren Augen kindischen Benehmen ausgelacht. Mein kindliches Staunen kann wahrscheinlich nur jemand verstehen der im Vergleich dazu den kargen, lichtverschmutzten Himmel der europäischen Peripherien kennt. Am meisten beeindruckt jedoch der afrikanische Halbmond. Dieser liegt anders als bei uns auf dem Rücken und lächelt mir abends zu wie ein Mund mit angehobenen Mundwinkeln.

 

Wenn wir den Strand also nach intensiver Beobachtung der Gestirne verlassen, müssen wir aufgrund der fortgeschrittenen Zeit meist ein Taxi nehmen. Spätabends einen passenden Bus zu finden bleibt ein Kunststück das uns nicht immer gelingt.

 

Der Wahl an Transportmittel für unsere allwöchentliche Odyssee sind keine Grenzen gesetzt. Letzten Montag (unser freier Tag) nahmen wir zum Beispiel den Zug zum Strand. Unweit der Pfarre befindet sich der Bahnhof unseres Viertels, dessen Verwendungszweck von den Kongolesen oft missbraucht wird. Sowohl Bahnsteig (gibt nur einen) als auch Gleise sind zu jeder Tageszeit gefüllt mit Menschen. Tagsüber dient der Bahnhof als Markt- und Umschlagplatz und in der Nacht wird er für viele Heimatlose (wenn auch illegal) zur Lagerstätte. Die paar Mal am Tag, an denen der Zug vorbeikommt, kündigt er sich schon von weitem durch lautes Pfeifen an. Es ist eher ein tiefes Brummen wie es nur Dieselloks zustande bringen. Der Lokführer muss damit nicht nur die Menschen von den Gleisen vertreiben, sondern auch den Autos an den unbewachten Bahnübergängen klarmachen, dass sie nicht mehr auf die Gleise fahren sollen. Dieses Unterfangen ist sowohl für Zug als auch Autofahrer nicht ungefährlich, da die Unbekannte „Stau“ noch mit einberechnet werden muss. Der französische Priesterstudent erzählte uns mit belegter Stimme, dass er mit dem Pickup der Pfarre im Stau eingezwängt auf den Gleisen stand und dann plötzlich das wohlbekannte Pfeifen des Zuges vernahm. In letzter Not und dank einiger halsbrecherischen Manöver ist es ihm gelungen sich rechtzeitig aus seiner misslichen Lage zu befreien.

 

Neben der modernen Zuggarnitur, die viermal pro Woche  zwischen den zwei größten Städten des Landes: Pointe-Noire und Brazzaville pendelt, gibt es auch noch den „gemütlichen Zug“ laut Ticket offiziell „Schul-Zug“ genannt. Jener fährt nur ins wenige Kilometer außerhalb gelegene Dorf N‘Gondi und retour. Allein für die 3 Kilometer von unserem Viertel bis zum Hauptbahnhof braucht er eine halbe Stunde. Was als Transportmittel also eher ungeeignet ist, wird für uns Abenteurer zu einem unvergesslichen Montagsausflug. Noch müde aber bereits mit einem mulmigen Gefühl im Bauch brachen wir an besagtem Morgen um 6:30 Uhr Richtung Bahnhof Tie-Tie auf. Die Diesellok mit ihren vier Waggons sollte planmäßig um7:00 Uhr ankommen, aber wir rechneten damit, womöglich sogar eine halbe Stunde länger am überfüllten Bahnsteig zu warten. Auf das Warten am Bahnsteig hatten wir uns eigentlich am wenigsten gefreut. Allein das Gebäude wirkt schon abstoßend. Auf einer freien, schlammbedeckten Fläche (manchmal als Markt verwendet) steht ein großer Betonklotz dessen Öffnungen mit ungemütlichen Eisengittern versperrt sind. Hinter einem der Gitter befindet sich die Bahnhofspolizei. Irgendwie hatten wir nicht so viel Lust auf ein Gespräch mit kongolesischen Polizisten und vermieden darum gleich das ganze Gebäude. Ein Blick in die kalten Räume genügte uns und wir beschlossen uns zu den weit und breit einzigen Frauen am Bahnsteig zu gesellen. „Schul-Zug“ finde ich eher euphemistisch ausgedrückt denn es waren anstelle der Schüler nur massenweise Arbeiter und Händler zu sehen. Bereits um 7:10 Uhr hörten wir das uns so wohlbekannte Geräusch, das den Zug ankündigt und plötzlich kam Bewegung in die Massen am Bahnsteig. Und ich verstand auch gleich warum sich jeder plötzlich einen Platz in erster Reihe am Gleis ergattern wollte. Man braucht nur den ohnehin schon überfüllten Zug mit den vier winzigen Waggons zu betrachten und dann den Blick zu den wartenden Mengen am Bahnsteig wenden. Man muss kein großes Mathe-Genie sein um zu erkennen, dass sich das nicht ausgehen wird. Aber wieder einmal zeigt sich: im Kongo ist alles möglich und wir bestiegen alle problemlos die Waggons. Drinnen angekommen waren wir als die einzigen zwei „Mundele“ DIE Attraktion der Reise. Uns wurden sogleich ein Platz und ein Heiratsantrag angeboten, wobei wir ersteren dankbar annahmen. Um das zweite Angebot auszuschlagen, wendeten wir wieder einmal erfolgreich unseren altbewehrten Trick an. Wir erzählten wir wären Klosterschwestern auf Mission im Kongo. Obwohl wir beide weder Kreuz noch Habit tragen, wird uns diese Ausrede immer abgekauft. Die Verehrer verziehen das Gesicht à la „So jung und Klosterschwester… was für eine Verschwendung“ und hauen dann ab.

 

Ich genoss es wieder einmal seit langem das vertraute „Padum-padum“ der rollenden Räder zu hören und noch mehr in die vom Anblick Weißer im Zug erstaunten Gesichter der Passanten zu sehen. Die Waggontüren blieben die ganze Strecke lang geöffnet sodass ständig junge Männer auf- und absprangen. Die Karten wurden im Zug selbst verkauft und kosten für die gesamte Reise € 0,23, ein billiger Spaß also. Bei den verschiedenen Halts auf der Strecke, die oft nur durch ein kleines Signal gekennzeichnet waren, leerte sich der Zug mehr und mehr. Schließlich tauchte links in der Ferne der Strand auf und wir wussten wir hatten unser Ziel gleich erreicht. Am Hauptbahnhof mussten wir unser gelungenes Abenteuer gleich mal mit einem Frühstück im Bahnhofscafé feiern. Darauf folgte der obligatorische Besuch am Strand und so konnten wir mit neuer, frisch aufgetankter Motivation unseren montäglichen Hausputz beginnen.

 

Irgendwie ticken hier im Kongo die Uhren anders als gewohnt. Für Neuankömmlinge (ich erinnere mich noch genau) ist das stundenlange Warten und Tratschen ziemlich anstrengend, doch hat man sich einmal an die kongolesische Zeitrechnung gewöhnt lernt man diese auch zu schätzen. „Die Besprechung beginnt um 17:00 Uhr“. Das heißt wenn wir so gegen 18:15 Uhr auftauchen reicht das völlig. „Die Versammlung zum Pfarrausflug ist um 8:00 Uhr“ bedeutet vor 10:00 Uhr fährt sowieso kein Bus weg. Allerdings kann man dabei auch ordentlich ins Fettnäpfchen treten. Am 8. Jänner fand die Patronatsfeier des Straßenkinderheims „Père Anton“ statt und der zuständige Pater Jean-Pierre versprach uns um 15:30 Uhr abzuholen. Um 15:29 saßen wir gemütlich in Joggingshosen um den Esstisch und freuten uns auf eine freie Stunde als plötzlich der Pater vor der Türe stand.

 

Die Messe fing trotz unserer Verspätung pünktlich um 17:00 Uhr an, doch offensichtlich hatte auch sonst niemand damit gerechnet. Die Gäste aus den Nachbarstraßenkinderheimen trudelten alle zwischen 17:30 Uhr und 18:00 Uhr ein. Es wurde trotzdem ein herrliches Fest mit ausgezeichnetem Essen und kongolesischer Musik. Pater Jean-Pierre sorgte mit seinen Tanzeinlagen für Stimmung unter den Jungs und um 20:00 Uhr mussten alle Gäste regelrecht mit Gewalt ins Bett gescheucht werden. Ein weiteres Highlight des Abends stand uns erst bevor. Denn aufgrund des Platzmangels im Auto mussten wir die Rückfahrt auf der Pick-up-Ladefläche verbringen. Es ist ein wahres Kunststück bei den unzähligen Schlaglöchern und Notbremsungen die Balance nicht zu verlieren. Diese sicher nicht ganz legale Spritzfahrt zählt zu den vielen großen und kleinen Abenteuern eines unvergesslichen Jahres im Kongo.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Christa und Joost (Sonntag, 14 Februar 2016 15:05)

    Danke für Eure Gastfreundschaft.
    Es ist schön, unsere Erinnerungen wieder wach zu rufen.