Kulinarik

Kulinarik

 

Diesen Blogeintrag widme ich ganz der kulinarischen Vielfalt des Kongos. Wie ihr euch, liebe Leser, sicher vorstellen könnt, unterscheiden sich sowohl Zutaten als auch Zubereitungsart erheblich von der mir vertrauten böhmisch-österreichischen Küche.

 

Irgendwie scheint sich das gesellschaftlich-kulturelle Leben des Kongos in der Nahrung widerzuspiegeln. Der Kongo, insbesondere Pointe-Noire ist ein Schmelztegel verschiedener Ethnien, Bevölkerungsgruppen und Einwanderer-ströme. Viele Kriegs-sowie Wirtschaftsflüchtlinge aus zum Teil noch ärmeren afrikanischen Ländern fanden aufgrund einer progressiven Einwanderungspolitik ihren Weg in den Kongo und haben natürlich ihre Lieblingsspeisen mitgebracht. Da gerade Pointe-Noire eine Hochburg der westlichen Ölscheichs ist, haben auch Hamburger, Pommes Frites und Sandwiches Einzug in den kongolesischen Speiseplan gehalten. So sieht man einen Kebap-Stand, der harmonisch von einem Senegalesen und einem Fastfood Restaurant flankiert wird. Einen McDonalds sucht man hier jedoch vergeblich. Ja ihr habt richtig gelesen: es gibt hier (wider erwarten) Kebap. Allerdings muss man sagen, dass kongolesischer Kebap (hier nach arabischer Tradition auch „Schawarma“ genannt) bis auf den Namen nichts mit seinem österreichischen Vertreter gemein hat. Das bei uns typische Kebapbrot wird durch eine Flade ersetzt und innen fand ich zu meinem Erstaunen neben Salat und Fleisch auch Pommes!

 

 

 

Von Franzosen und Kongolesen

 

So entstehen wie erwähnt ziemlich paradoxe Mischungen aus Lokalen. Innerhalb weniger Meter wechselt das Klientel von reicher Französin  mit Gucci-Sonnenbrille bis zu Straßenkehrer, der immer noch einen Fetzten vor dem Mund hat um den Gestank zu ertragen. Die eine, sitzend in ihrem glänzenden Allrad-Pick-Up, wird von ihrem Chauffeur direkt vor die spiegelnden Schwingtüren des 24/7 Lokals „the food factory“ kutschiert. Sie wirft ihre perfekt gestylten Locken in den Nacken, tritt in den auf ungute 20° gekühlten Raum und sieht sich zunächst einmal um. Das Lokal erstreckt sich länglich in die Tiefe und wird dominiert von einer langen Glastheke an der linken Seite. An der rechten Seite ist ein langer Tisch aus perfekt geschliffenem Ahornholz angebracht mit Barhocker aus Holz und Metall, die jedoch alle leer sind. Darüber hängt ein Spiegel, der der Bar einen noch größeren Eindruck verleiht. Die restliche Mauerfläche ist mit großformatigen Farbfotografien nach moderner Kunst verziert: Eine stilisierte Tomate auf weißem Hintergrund einmal abgelichtet von Oben und einmal von der Seite. Hinter der Theke stehen auf Designerregalen Designergläser und darüber kann man auf großen, von hinten beleuchteten Schrifttafeln das Speiseangebot entnehmen. Das Serviceprinzip des Restaurants entspricht dem eines „subway“-Lokals. Man wählt selbst die Zutaten für sein Sandwich, Crêpe, Burger, Brötchen oder was auch immer. Die vier einheitlich schwarz mit Firmenlogo gekleideten Angestellten bereiten daraufhin frisch das von der Französin bestellte Panini mit Schrimps und Blattsalat zu. Diese wiederum zuckt ihre Ledergeldbörse, entnimmt 4500 kongolesische Franc und reicht sie mit einem kühlen Lächeln der Bedienung. Mit einer lässigen Handbewegung verneint sie die Rechnung und verschwindet einigermaßen gestresst aus dem Lokal.

 

Hundert Meter weiter bindet der nach getaner Arbeit hungrige Straßenkehrer seinen bereits entleerten Handkarren an einem Pfosten fest und schlängelt sich zwischen zwei betonierten Mauern in einen kleinen Hinterhof. Zunächst nimmt er seinen Mundschutz ab und geht zu dem Plastikeimer, der auf einem kleinen Schemel in der Ecke steht. Am unteren Ende des Kübels ist ein kleiner Hahn angebracht, der einen dünnen Wasserstrahl zum Händewaschen gibt. Müde lässt er sich auf einem selbstgezimmerten Stuhl aus Sperrholz nieder, der neben einem dazu passenden Tischlein steht. Darauf hat der Besitzer eine Plastiktischdecke geklammert, die es der Bedienung erleichtert den Tisch abzuwischen. Im ganzen Hof stehen zirka 15 solcher Tische und fast alle sind besetzt. Während unser Herr auf die Bedienung wartet gibt es andere Gäste, die direkt zur überdachten Theke gehen und zum Mitnehmen bestellen. Hinter der Theke -ebenfalls aus Sperrholz und selbstgezimmert- stehen zwei fröhlich wirkende ältere Damen mit Kopftuch, die aus riesigen Töpfen Reis, Bohnen in Tomatensauce, gegrillten Fisch oder Gerichte, dessen Namen auf Deutsch nicht existieren, schöpfen. Gekocht wird in einer anderen Ecke des Hofes. Dort stehen abermals unter einem kleinen Dach vier Töpfe von 750cm Durchmesser jeweils auf einem Lagerfeuer. Eine Frau schiebt mit ihren bloßen Händen alle zehn Minuten die Holzscheiter weiter in die Mitte um eine gleichmäßige Hitze zu erhalten. Dazwischen rührt sie mit großen hölzernen Kochlöffeln in den dampfenden Kesseln. Eine andere Frau steht daneben vor einem selbstgemachten Grill. Eine halbe Metalltonne wurde von einem Schweißer mit Standbeinen versehen und darauf ein Rost gelegt. Die Tonne selbst ist mit Holzkohle gefüllt allerdings von so schlechter Qualität, dass sie anstatt zu glühen die meiste Zeit Flammen von sich gibt. Der Mann muss nicht aufstehen um auf die mit Kreide beschriftete Speisetafel neben der Theke zu schauen, er weiß schon was er will. Er bestellt einen „Ngok“ und „Reis Chap“. Die Bierflasche stellt ihm die Bedienung kurz darauf auf den Tisch, löst den Bierdeckel, aber lässt ihn auf der geöffneten Flasche liegen. Nach jedem Zug, den unser Mann nimmt, verschließt er sorgfältig die Flasche mit dem Bierdeckel damit sich keine Insekten in der Flasche verirren. Da stellt ihm die Bedienung einen gut gefüllten Teller mit Reis, gekochter Maniokwurzel, fertig zubereitetem Maniok und gebratenem Meeresfisch in Tomatensoße auf den Tisch. Das Besteck lässt er unangetastet liegen, denn er isst mit den Händen, aber er greift zur Schale mit „Piment“, einer Art selbst zubereitetem Sambal bestehend aus zerkleinertem, sehr scharfen Pfefferoni der mit Öl in einer Pfanne gebraten wurde. Zum Bezahlen geht er an die Theke. Die Preise der Gerichte stehen auf der Kreidetafel und die der Getränke weiß eh jeder auswendig, die muss man nicht auch noch wo aufschreiben. Er zahlt die 2500 CFA und verlässt das Lokal - ebenfalls ohne Rechnung - aber nicht ohne vorher nochmals die Hände abzuspülen.

 

Diesen krassen Gegensatz, diesen Zusammenstoß - oder besser gesagt – dieses Aneinander-vorbei-Leben zweier Parallelwelten finde ich so spannend und anziehend. Ein Zusammenstoß der beiden Welten findet ja nicht statt, denn genauso wenig, wie die Französin aus meinem (vielleicht etwas überspitztem) Beispiel jemals das senegalesische Restaurant betreten wird, wird der Straßenkehrer auch niemals in den Burgerladen Essen gehen.

 

 

 

Die Kartoffel

 

Die Kartoffel wird jedoch immer noch sehr stiefmütterlich behandelt. Der Vorschlag, für unsere Freunde wieder einmal österreichisch zu kochen, wird meistens dankbar angenommen und mit entsprechend großem Appetit erscheinen die Gäste. Wird dann aber eine Schale Petersil-Kartoffel oder Erdäpfelgulasch aufgetischt, blicken wir in lange Gesichter. Langsam haben wir uns daran gewöhnt, dass die meisten Kongolesen rund um die Kartoffel herum essen. Umso besser für Magda und mich denn als Österreicher sind wir ja „besessene Kartoffelesser“. Davon sind zumindest die Salesianerpatres überzeugt. Über diesen Sachverhalt macht sich der italienische Pater Valentino am meisten lustig. Immer wenn das Wort „Österreich“ im Zusammenhang mit „Küche“ fällt, packt er sein beschränktes Deutschvokabular aus, kräht „Karrtofffel, Karrrtofffel“ und freut sich dabei selbst am meisten. Ich glaube den Kongolesen fehlt es an Zubereitungskreativität bei der Kartoffel. Ich hab sie hier bisher nur in Form von Pommes, geviertelt und gekocht in einer „Suppe“ oder mit viel Majonäse als Salat gegessen. Wirklich schade denn von Bratkartoffeln, Püree, oder Kartoffelsalat bleibt mir nichts anderes übrig als zu träumen.

 

 

 

Beim Häuten der Ziege

 

Als ich zum ersten Mal eine kleine süße Ziege im Pfarrgarten an einem der Avocado-Bäume gebunden sah, war ich erst zwei Wochen lang in Pointe-Noire und noch sehr naiv. Ich habe sie gestreichelt und mich über das neue Haustier gewundert und als sie zwei Tage später verschwunden war, habe ich nicht einmal überrissen was geschehen war. So viele neue Eindrücke galt es zu verarbeiten, dass das Verschwinden einer Ziege keine inneren Fragen aufgeworfen hat.

 

Erst viel später habe ich herausgefunden, dass unsere Pfarrer die Gewohnheit haben, zu bestimmten Festen eine Ziege zu schlachten und diese anschließend genüsslich zu verspeisen. Lebendige Ziegen kann man hier ziemlich leicht kaufen, vor allem wenn man etwas außerhalb Pointe-Noire fährt zum Beispiel in die Dependance unserer Pfarre Côte Matève. Das Tier – egal ob Männchen oder Weibchen, ich hab hier schon beides geschlachtet – wird nicht sehr tierfreundlich an den Füßen zusammengebunden und so im Pfarrhof deponiert. Wenn es Glück hat kommt ein barmherziger Samariter vorbei, der die Füße losbindet, einen neuen Knoten um den Hals legt, es an besagtem Avocado-Baum festbindet und ihm eventuell noch eine Schüssel Wasser hinstellt. Bei meiner guten Tat musste ich allerdings feststellen wie viel Kraft in einem sich zu Tode fürchtendem Zicklein steckt. Zunächst reißt es einem fast zu Boden in dem Versuch so schnell wie möglich den äußersten Radius des Seiles zu erreichen um dann zitternd und mit den vom Verschnüren wackeligen Beinen stehen zu bleiben. Dann schaut es mit großen Kulleraugen seinen Henker an - ein herzzerreißender Anblick.

 

Die beiden Urteilsvollstrecker sehen in dem süßen, gehörnten Wesen auf vier Hufen wohl nichts anderes als ihr Mittagessen und gehen die Sache weniger emotional an. Der Messerführer und damit Hauptrichter ist von Beruf eigentlich Tischler, aber dürfte eine ordentliche Ausbildung à la congolaise erhalten haben. Das heißt nach ein paar Monaten „Dorf“ weiß der Kongolese alles, was er so im Alltag braucht. Neben Kochen und eben dem Schlachten von Ziegen kann man im Busch von Kräuterheilkunde und Jagd über Körbe flechten und Fischerboote schnitzen bis hin zu Geisteraustreibungen und Hexerei alles lernen. Wenn ich mich recht erinnere hat er sich mir als Medizinmann (oder war's nur ein Scherz?) vorgestellt. Er wird stets begleitet von seinem Gehilfen und Kumpel der wie er Ende Vierzig zu sein scheint.  Während der Meister sich von der Köchin Scarlenne einen ihrer vielen Arbeitspagnes (wisst ihr noch? die Stoffe, die man u.a. als Wickelrock verwendet…) als Schürze umbindet, gräbt der Gehilfe unter dem Vordach im Hof ein tiefes Loch in die Erde. Nun kommt die Ziege ins Spiel. Als ob sie den bevorstehenden Tod erahnt, wirft sie sich mit aller Kraft dagegen während ein enges Seil um die Hinterbeine geknotet wird. Unterdessen halte ich die Vorderpfoten und den Kopf damit die Wildgewordene ihre Henker nichts anhaben kann. Direkt über dem Loch an einem Holzbalken wird nun die Ziege kopfüber hinaufgezogen und auf Augenhöhe gut festgebunden. Ziemlich jämmerlich hängt nun das Tier mit den Hinterbeinen am Balken befestigt und meckert verzweifelt. Ich halte immer noch die Vorderpfoten um ein Drehen zu verhindern und hoffe auf ein schnelles Ende. Und tatsächlich, der Schlachter greift zu einem beilartigen Messer und holt aus. Das mit dem kurzen, schnellen Tod kommt allerdings nicht in seinem Plan vor. Während der Gehilfe die Hörner hält, schlägt er zu und durchschneidet nur die Kehle und die Luftröhre. Unter lautem Meckern überstreckt der Gehilfe den Kopf des Opfers damit das Blut in das vorbereitete Loch strömen kann. Plötzlich springt er zur Seite und lässt den Kopf los. Der Grund: die sterbende Geiß versprüht ihren Darm- und Blaseninhalt über uns drei. Die Ziege zuckt und schreit noch ein paar Minuten lang bis die Bewegungen langsamer und die Schreie immer schwächer werden. Ohne ein Wort zu sagen schauen wir drei zu wie die letzten Tropfen Blut aus der Öffnung im Hals herausströmen und die Augen starr und glasig werden. Ich habe plötzlich das Bedürfnis wie im Film die Augenlieder des Tieres zu schließen, tu es aber doch nicht. „Die lebt nicht mehr“, meldet sich der Meister nüchtern zu Wort und drückt seinem Gehilfen das Messer in die Hand um endgültig den Kopf abzutrennen. Dieser wird zur Seite gelegt, der Länge nach halbiert und dient den Schlachtern als Eintopf beziehungsweise die abgetrennten Hörner dienen als Trophäen. Der Meister und ich kümmern uns währenddessen um den restlichen Körper, der so leblos vom Balken baumelt. Gewappnet mit einem kleinen aber scharfen Messer beginnen wir kurz oberhalb des Sprunggelenkes quer das Fell einzuschneiden. Das Fell löst sich viel leichter als gedacht vom restlichen Körper. Zwischen Ziegenhaut und Muskelfleisch ist eine dünne Schicht aus weißem Fett und weißem Schaum (Proteine?) an der man nur mit dem Messer entlangfahren muss und die Haut löst sich. Viel schwieriger ist es an den Stellen an denen die besagte Schicht besonders dünn ist, wie an den Beinen oder bei Gelenken. Am Bauch angekommen, merke ich beim Schneiden, dass eine komische weiße Flüssigkeit über meine Finger rinnt.  Der Chef und ich werfen uns fragende Blicke zu bis mir einfällt, dass das die Muttermilch sein muss und irgendwo sicher ein Zicklein auf seine Geißenmutter wartet. Doch kein Mitleid – das ist hier fehl am Platz. Man darf allgemein nicht zu zimperlich sein, denn Blut und andere Körperflüssigkeiten der Ziege verteilen sich besonders gerne auf Gewand und Haut des Schlachters. Zu zweit ziehen wir also im Ganzen das Fell der Ziege ab. Nur dort, wo die Haut besonders eng an den Knochen aufliegt – also an den Beinen und im Nacken entlang der Wirbelsäule -  ist Fingerspitzengefühl gefragt. Da passiert es manchmal, dass das Fell reißt. Dies ist ohnehin nicht schlimm, weil es später mitsamt Innereien und Blut in das vorher frisch gegrabene  Loch verschwindet. Nun hängt also die enthäutete Geiß mit dem Kopf nach unten an einem Balken – ein merkwürdiger Anblick. Als nächstes wird mit einem gezielten Schlag der Brustkorb geöffnet und der Eingeweidesack kommt heraus. Wenn Gedärm, Magen, Lunge, Herz etc. einmal den Körper verlassen haben, bleibt nicht mehr viel über als ein vom Fleisch rötliches Gerippe, das den nunmehr leeren Bauch umarmt. Ganz gegen meine Erwartungen ist das eine ganz blutlose Angelegenheit. Jetzt beginnt also meine Arbeit. Während der Meister weiter an der Leiche hackt, öffne ich die Eingeweide und werfe Lunge und Nieren weg. Für mich interessant sind vor allem der Magen und der Darm. Der Inhalt von Darm und Magen kommt wie alles andere in das ausgehobene Loch im Boden. Die aufwändigste Arbeit ist das Waschen der Gedärme, die mit viel Wasser ausgeschwemmt werden und mit Daumen und Zeigefinger ausgekniffen werden. Nach ein oder zwei Waschdurchgängen schneide ich den Magen in kleine Stücke. Das ergibt kleine fetzenartige Lumpen, denn der Magen ist innen wie ein Fell behaart. Diese rolle ich palatschinkenartig zusammen und umwickle sie mit dem Dünndarm. Mittlerweile ist auch der Meister fast fertig und lässt mich zur Erheiterung aller Beteiligten den Fuß der hängenden Ziege mit der Manschette abhacken. Dieses Unterfangen ist gar nicht so leicht, weil man zugleich das Tier halten muss, damit man genug Spannung aufbaut und andererseits kräftig zuhauen sollte. Nach einigen Versuchen muss ich aufgeben, während der Profi mit einem gezielten, kräftigen Schlag das Bein abtrennt. Damit hat der Meister und sein Gehilfe seine Arbeit beendet. Beide nehmen als Entlohnung einige gute Stücke mit nach Hause und übergeben an Scarlenne, die Köchin. Sie übernimmt die restliche Zerkleinerung und viel wichtiger: die Zubereitung. Während die Rippen und Keulen oftmals gegrillt werden, kommt der Rest mit vielen Kräutern, Gemüsen und Gewürzen in einen Kochtopf und wird zu einer Bouillon verkocht. Besonders begehrt, sowohl von Pfarrer als Volontär, sind diese Magen-Darm-Wickel, die weder fettig noch trocken schmecken. Und bei den großen Festen der Pfarre (wir feierten zum Beispiel gerade wieder mal eine ewige Profess einer Klosterschwester) leeren die Gäste immer zuerst den Topf mit dem Ziegenbouillon.

 

 

 

Hommage an das Brot

 

Eine ganz besondere Beziehung führt dieses Land mit seinem Brot. Es gibt genau eine Sorte davon: ein längliches, innen flaumiges, baguette-artiges Weißbrot, das wohl mit den französischen Kolonialisten den Weg in den Kongo gefunden hat. Ich esse jeden Tag mindestens ein Stück, dass für umgerechnet 15 Eurocent an jeder Straßenecke zu kaufen ist. Jeden Tag? Ob mir das nicht schon beim Hals raushängt? Fragt ihr mich? Nein überhaupt nicht. Das Brot schmeckt nämlich zu jeder Tageszeit anders. Morgens nach der Messe wird immer ein Schüler zur Bäckerei um die Ecke geschickt um einen Sack mit 20 Broten zu holen. Zum Frühstück gibt's also warmes, von außen leicht knuspriges von innen flaumig-weiches Baquette. Zugegeben, manchmal wünscht man sich doch ein Müsli oder eine andere Abwechslung, aber als mir erklärt wurde, dass es in Sambia anscheinend überhaupt gar kein Brot gibt, ließ ich meine Kritik bleiben. Zu Mittag verändert sich der Geschmack des Brotes schon leicht, aber ich mags am liebsten abends. Dann ist es sowohl von innen als auch von außen weich, aber es wird nicht zäh zum Beißen wie österreichisches Baguette.

 

Das Brot wird gemacht in riesigen Mengen in Bäckereien, die nur diese Sorte Brot produzieren. Man bekommt zwar auch Vollkornbrot, Croissants etc. in europäischen Vierteln des Stadtzentrums, aber zu horrenden Preisen. Die kongolesische Variante des Baguettes bekommt man allerdings zu jeder Tageszeit und noch dazu gratis nach Hause geliefert. Ab sechs Uhr in der Früh beladen fahrende Händler ihre Scheibtruhen mit Brot und fahren so durch die Gassen. Die meisten haben auch Margarine und eine Wurst mit für all jene die das Brot gleich belegt kaufen wollen. Dabei schreien sie „Chaud“ so laut und schrill,  dass man sie schon hören kann, wenn sie erst in der Nachbargasse sind. „Chaud“ ist die Abkürzung von „Pain chaud“ was „warmes Brot“ bedeutet. Leider meint es der Brothändler zu gut mit uns und spielt so gleichzeitig unseren Wecker.

 

 

 

Highlights am Straßenrand

 

Ich glaub hier im Kongo kann jeder, wann immer er es will, seinen Verkaufsstand eröffnen. Wenn man entlang den Gässchen und Straßen geht sitzt in jedem Grundstück eine Frau die ihre selbstgemachten Köstlichkeiten anbietet oder essentielle Lebensmittelprodukte weiterverkauft. Überall kann man sogenannte „Baignets“ kaufen, also in Fett heraus gebackene krapfenartige Bällchen, deren Teig meist aus Mehl, Wasser, Hefe und Bananen bzw. Joghurt zusammengemischt wird. In Fett heraus backen ist wahrscheinlich die beliebteste Zubereitungsart im Kongo, denn auf dieselbe Art kann man gebackene Kochbananen, Maniok-Wurzeln und Süßkartoffeln genießbar machen. Mein absoluter Straßenrand-Favorit ist jedoch das eisgekühlte Joghurt, das in kleinen Säckchen verkauft wird, genauso wie Ingwersaft und ein johannisbeerartiger Saft. Man beißt ein Eck des Säckchens ab und saugt den tiefgefrorenen Inhalt heraus. Joghurt ist hier nicht gleich Joghurt, da allgemein keine frischen Milchprodukte verkauft werden. Es ist eine selbstgemachte Mischung aus Milchpulver, Zucker, Wasser und gekauftem Joghurt. Überall erhältlich sind außerdem Erdnüsse gebraten, gegrillt oder karamellisiert.

 

 

 

Mittwochs um 9

 

Mittwochvormittag habe ich unterrichtsfrei also nütze ich die Gelegenheit die kongolesische Küche noch besser kennenzulernen und helfe unserer Köchin Scarlenne beim Kochen. Es gibt entweder Fisch, Huhn oder Rind in allen Zubereitungsarten, jedoch vorwiegend gebraten, gegrillt oder als Bouillon. Faschiertes kennt man hier nicht. Ab und zu steht Schweinefleisch auf dem Speiseplan, ist jedoch teuer und nicht sehr beliebt. Meine Aufgabe beginnt meistens damit 10 Zwiebeln zu schälen und schneiden, aber ohne Schneidebrett. Traditionell sitzt die Hausfrau dazu in einem geflochtenen Korbstuhl dem „Sebilamba“ was so viel heißt wie „kann kochen“. Dabei bleibt genügend Zeit mit Scarlenne zu plaudern und nebenbei wird man über den neuesten Klatsch und Tratsch in der Pfarre informiert. Das Kochen hat allerdings auch anstrengende Seiten, wie  zum Beispiel die Zubereitung von  Fou-Fou. Das Fou-Fou Mehl (geriebene getrocknete Manioc-Wurzeln) wird in kochendes Wasser gegeben und muss mit der Hand zu einer harten Masse verarbeitet werden um anschließend daraus Knödel formen zu können. Die Köche hier finden aufgrund von Werkzeugmangel ganz kreative Lösungen bestimmte Küchengeräte zu ersetzen. Ich habe hier zum Beispiel gelernt Dosen mit einem Messer zu öffnen, Flaschen mit einer Gabel zu öffnen und  Eiweiß zu schlagen mit einem Löffel.

 

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Odyssee durch Pointe-Noire

 

Jetzt ist’s bald 6 Monate her, dass sich eine junge naiv-motivierte „Mundele“ in den Flieger nach Pointe-Noire gesetzt hat.                                Hier gibt es so viel zu tun und zu erleben, dass ich leider kurzfristig meinen Blog veruntreut habe. Sollte nicht wieder vorkommen!

 

Erst nach dem Besuch der Familie meiner Mitvolontärin Magdalena (22.12.-03.01.) stellte sich heraus an wie viele (für uns schon ganz alltägliche) Gegebenheiten man sich erst gewöhnen muss. Dazu zählt zunächst das Straßenbild. Ich wage also den Versuch, schriftlich etwas zu beschreiben was man nicht einmal mit Fotos einigermaßen adäquat wiedergeben kann. Zunächst ist „Straße“ nicht gleich „Straße“. Das gut asphaltierte Stadtzentrum erweckt in jedem ahnungslosen Neuankömmling heimatliche Gefühle. Er denkt vielleicht nicht an Österreich (dazu liegt zu viel Sand auf der Straße, der die Nähe zum Meer verrät) aber das Straßenbild ist mit Südeuropa durchaus vergleichbar. Im Stadtzentrum gibt es mehrspurige asphaltierte Boulevards gesäumt von mehrstöckigen Betonbauten. Viele Gebäude haben ihre besten Tage schon hinter sich und ihren Zenit überschritten - oder diesen noch gar nicht erreicht. Sprich es sind Dauerbaustellen, die oft erst Jahre später (oder nie) beendet werden- je nach gerade vorhandenem Budget. Da reihen sich alte repräsentativ-eingerichtete Gebäude aus der Kolonialzeit (wie die Post, das Rathaus oder der Bahnhof) an geschmacklose Zweckbauten, die wiederum an ein exzentrisches Luxushotels mit olympischem Swimmingpool grenzen.  Eine Boutique steht neben der anderen und man findet alles von Markenbrillen bis zu Döner-Kebab. Gut gekleidete, fast schon übertrieben geschminkte Frauengrüppchen werden von Männern beim flanieren hinterher gepfiffen. Auf einem großen Reklameschild bezeugt eine künstlich lächelnde Familie die Bekömmlichkeit der neuseeländischen Pulvermilch. In den Geschäften hängen aufblitzende Schilder mit „open“ oder „sale“. Oft ist der ganze Laden von außen mit einem Produkt bemalt das im Inneren verkauft wird. Man macht also nicht Werbung mit dem Namen des Geschäfts, sondern mit einem renommierten und gut bekannten Produkt das dort angeboten wird. Am beliebtesten ist,so weit ich das beurteilen kann, die rot-weiße Mineralwasserflasche „Mayo“ die oft ganze Fassaden ziert. Soweit so gut.

 

Auf den zweiten Blick findet man doch einige charakteristische Merkmale, die darauf hinweisen,  in einer äquatorial-afrikanischen Wirtschaftsmetropole gelandet zu sein. Neben jedem Fenster einer reichen Innenstadtwohnung häng eine laut surrende Klimaanlage die den ganzen Tag damit beschäftigt ist ihren Eigentümern  durch arktische 10°C einen Dauerschnupfen zu besorgen. Und da wäre dann noch die Sache mit dem Sand. Egal wie gut die Straße gekehrt ist oder wie viel es geregnet hat-irgendwie ist kein Ort vor dem feinen Staub sicher. Hartnäckig klammert er sich an Gebäude, Gewand oder Gehsteig und lässt sich beim besten Willen nicht mehr entfernen. Bei Hinzufügung  von Wasser (sei es Dusche oder Regen) werden die Körner nicht weggespült, sondern bilden einen Matsch der nach der Verdunstung noch schlimmere Spuren hinterlässt. Sand am Strand ist ja schön und gut und hat uns in der ersten Zeit viel Freude bereitet, doch als wir dann unseren persönlichen Strand im Bett und im Kleiderschrank hatten war der Spaß vorbei.

 

Wo war ich? Ach ja. Straßenbild.

 

In Strandnähe häufen sich teure Villen, eingemauert von 2 Meter hohen Stacheldrahtzäunen inklusive Videoüberwachung und Security-Mann. Hier und dort steht eine Palme (ich bin noch nicht in Lebensgefahr da die Kokosnüsse erst im Sommer reif werden) oder ein anderer Baum, den ich noch nie zuvor in Europa gesehen habe. Weiter außerhalb stehen auch ziemlich trostlose Industriegebäude, Speditionsunternehmen oder Hafengebäude. Da gibt es die Brauerei „Primus“, die ein kongolesisches Bier hier in Pointe-Noire herstellt. Am Nördlichen Ende der Stadt stehen unzählige Hafengebäude und Umschlagareale.

 

Um euch noch einen besseren Eindruck von dem hiesigen Straßenbild geben zu können, lade ich zu einer imaginären Reise vom unserem Haus zum Strand von Pointe-Noire ein. Dabei bereist man mindestens 3 verschiedene Länder in 20 Minuten. Die Odyssee beginnt rund 100 Meter neben unserem Haus. Dort gibt es eine Tankstelle an der die Busse (sprich die umgebauten chinesischen VW-Busse) stehen bleiben. Einen Busfahrplan gibt es nicht. Wir stellen uns also geduldig an den Straßenrand und warten auf den passenden Bus. Da! Im zähflüssigen Nachmittagsverkehr tuckert uns ein blau-gelb gefärbtes Gefährt entgegen. Leider der Falsche! Bei näherem Hinsehen haben wir den roten Vierer hinter der Windschutzscheibe entdeckt und wir brauchen den Einser. Doch kaum 30 Sekunden später erblicken wir den ersehnten 1er-Bus. Wir winken dem Kassierer / Menschen-in-den-Bus-Schlichter / Haltansager, der gerade mit letzterer Tätigkeit beschäftigt ist und begeistert „Grand Marché, la Ville“ ruft. Alle Plätze sind besetzt, aber irgendwie (Afrikanische Hexerei?) passen wir doch hinein und rumpeln Richtung Stadt. Das Gute am Eingequetscht sein ist, dass man beim nächsten Schlagloch nicht unbedingt eine Beule riskiert. Wenn man Glück hat werden die Straßenunebenheiten von den breiten Hüften der Busnachbarin abgedämpft und der Kopf bleibt wenigstens bis zur Rückfahrt von Beulen verschont. Allen paar Meter klopft der Menschenschlichter  gegen die Türe um dem Fahrer einen Stopp zu signalisieren. Zwei Frauen mit Einkaufstaschen steigen aus und ein Schulkind und ein alter Mann steigen ein. Man spricht nicht viel und wenn dann über uns Europäer, die sonst immer die Busse meiden und in luxuriösen Schlitten durch die Stadt rasen. In halsbrecherischen Manövern sausen wir an anderen Vehikeln vorbei und sind dabei schon gefährlich weit auf der anderen Straßenseite nur um darauf in einem weiteren Manöver ein Schlagloch auszuweichen. Man muss die Bus-Route kennen denn im Normalfall sagen weder Fahrer noch Menschenschlichter Halts an und der Bus bleibt prinzipiell dann erst stehen wenn jemand ein- oder aussteigen will. Es gibt jedoch gewisse Stellen an denen der Bus so gut wie immer stehen bleibt. Die Pflichthaltestelle unserer Fahrt ist das Krankenhaus unseres Viertels Tiè-Tiè. Es ist von einem hohen Eisengitter umgeben vor dem sich meistens eine große Menschenmenge ansammelt. Wir fahren weiter vorbei an Läden und Straßenhändler, Schülergruppen in Uniform oder Mütter mit ihren Babys am Rücken. Wir kämpfen uns in den Kreisverkehr (falls es sowas wie Vorrangregeln gibt werden diese nicht beachtet und eventuelle Schilder, die auf ein entsprechendes Gebot hinweisen könnten, wurden - laut Freunden – von Metallbegeisterten Händlern abmontiert). Schließlich nehmen wir die linke Ausfahrt – meistens zumindest, denn es gibt keine vorgeschriebenen Busrouten und wenn es mal Stau gibt (den gibt’s hier öfters) kann es sein, dass der Bus spontan eine andere Strecke nimmt um schneller anzukommen.

 

Im Normalfall erreichen wir gleich die nächste Pflichthaltestelle und somit ein neues Land auf unserer Reise: Die große Moschee. Es wirkt als ob wir auf einem arabischen Bazar gelandet sind und wir schauen uns etwas um. Der Straßenrand ist voll von kleinen Ständen, fliegenden Händlern, Passanten und auch Tieren die zum Verkauf angeboten werden. Nicht nur der Kleidungsstil der hier beheimateten Kongolesen lässt uns vermuten, dass wir das muslimische Viertel erreicht haben. In den Läden (das ganze Viertel scheint nur aus Läden zu bestehen und wird daher auch „großer Markt“ genannt) kann man egal zu welcher Tageszeit betende Muslime auf ihren Gebetsteppichen sehen. Die Mehrheit der Läden wird von Männern geführt wohingegen die Frauen, wie es scheint, bevorzugt ihre Stände am Straßenrand aufbauen. Sie sitzen allein, zu Zweit oder in Grüppchen beisammen hinter oder besser gesagt in ihrem Stand. Der Stand selbst ist ein aus Sperrholz zusammengenagelter Tisch wobei jeder Zentimeter mit Ware gefüllt ist, sei es Lebensmittel, Unterwäsche, Magazine aus dem letzten Jahrzehnt, Sim-Karten oder Selbstgebackenes. Manchmal, gerade zur Mittagszeit am Markt in unserem Viertel Tiè-Tiè, beobachteten wir Frauen, die sich mit ihren Kindern direkt zwischen die Waren legen und so praktisch am Tisch ein Mittagsschläfchen halten. Wenn man einen Blick auf den Boden wirft versteht man, wieso es sich die Verkäuferinnen lieber zwischen ihren Waren bequem machen. Jedes Paar Füße, dass auf die 20 Zentimeter Erde zwischen den Ständen tritt, macht den ohnehin schon weichen Boden noch maroder als er schon ist. Und gerade nach einem tropischen Regenschauer steht man leicht bis zu den Knöcheln im Schlamm. Wenn man so wie wir den Komfort von  Gummistiefel genießt, macht es einen Riesenspaß wie ein Kind im Matsch rumzulaufen und man ertappt sich dabei, den Kongolesen mit ihren Flip-Flops mitleidige Blicke zuzuwerfen. Nachdem ich allerdings selbst einmal versucht hatte mit Flip-Flops im knöcheltiefen Matsch einzukaufen, wandelte sich mein Gefühl für die Kongolesinnen in ehrfürchtige Bewunderung. Und ich selbst wurde bei jedem Schritt nur frustrierter.  Scarlene, die Köchin, hatte uns ja vorher gewarnt. Als zum fünften Mal meine Sandale im Schlamm stecken blieb, ich barfuß zwei Schritte zurückhumpeln musste und dabei von den drängenden Einkäufern fast um gerempelt wurde, beschloss ich meinen Versuch es den Kongolesinnen gleichzutun aufzugeben. Das demotivierende daran ist, dass Kongolesinnen scheinbar schwerelos über dem Schlamm schweben und von einem Stein sehr geschickt zum anderen springen ohne dabei wirklich dreckig zu werden. Genauso schwerelos bahnen sich auch große, weiße Stelzvögel ihren Weg durch Matsch und Pfützen. Dieses, in unserem Viertel omnipräsentes Vogelvieh scheint sich nur von Müll zu ernähren. Sie fehlen jedenfalls auf keinem der vielen großen und kleinen, bunten Häufchen am Straßenrand. Ihr Äußeres mag dem eines Kranichs oder Zwergstorchs durchaus ähneln, aber im Gegensatz zu seinen majestätischen großen Brüdern wirkt der kongolesische Vertreter verschlagen und hinterhältig. Sein weißes Gefieder ist von Schlamm und Witterung verdreckt und lässt mich an niederträchtige Arbeit erinnern. Außerdem habe ich diesen Vogel noch nie beobachtet wie er sich in die Lüfte erhebt; bei Gefahr läuft er auf seinen schlaksigen Beinen laut schreiend davon.  Soweit zum Markt bei uns im Viertel.

 

 Am großen Markt hingegen sind die Gässchen größtenteils betoniert und in der Mitte läuft eine kleine Vertiefung die sowohl als Regenrinne als auch als Mistkübel verwendet wird. In dem Viertel kann man alles -  wirklich alles, von lebendiger Ziege bis Kotflügel jeder Automarke finden. Man muss sich nur auskennen. Für Ortsunkundige wie uns Volontäre ist das nicht so leicht. Als wir Gewand und traditionelle Stoffe suchten, fanden wir uns plötzlich in einer Straße wieder in der es ausschließlich Ventilatoren zu geben scheint. Bei unserem nächsten Ausflug suchten wir den Gemüsemarkt und befanden uns plötzlich in der Kleidergasse. Die kleinen Gassen, die orthogonal zu den befahrbaren Straßen verlaufen, erinnern mich unwillkürlich an den Orient, wie man ihn aus Fernsehdokumentationen kennt. Vor den Läden sitzen ältere Väter mit Bart, die oft Migranten aus Senegal oder anderen westafrikanischen Ländern sind und hier ihr Geschäft machen. Auffällig oft haben sie neben sich eine Teekanne stehen mit der sie von Zeit zu Zeit ihre Füße waschen. In diesem Gässchen-Labyrinth haben wir uns schon des Öfteren verirrt, doch an der großen Moschee kann man sich immer gut orientieren.

 

Zwischen den arabisch anmutenden Läden gibt es auch viele asiatische Geschäfte. In einer heißen überfüllten Boutique wird – „made in china“ – alles angeboten was das Herz begehrt oder zu begehren glaubt, denn oft ist es im Nachhinein gesehen unnötiger Krimskrams. In den Augen der Kongolesen gibt es auch „weiße“ Verkäufer denn Bewohner des Maghreb werden hier bereits als „weiß“ bezeichnet. Europäische Händler findet man hier am großen Markt nicht. Dazu müssen wir mit dem Bus noch ein Stückchen weiterfahren – vorbei am größten Kreisverkehr der Welt (meine Einschätzung) bis ins Stadtzentrum. Wir erreichen das bereits beschriebene „Europa“. Den ersten Stopp machen wir beim „Institut français culturel“, dem französischen Pendant zum Goethe Institut. Dort gibt es ein vielfältiges kulturelles Angebot bestehend aus Theater und Konzerten am Abend, eine gut bestückte Bibliothek und Sprachkursen. Der Jahresbeitrag ist für Schüler rund € 5,- und für jeden empfehlenswert. Wir haben mit zwei unserer Klassen den Bücherklub wiedereingeführt, um die Schüler zum Lesen zu motivieren.  Dazu gehören neben einer Lesenacht natürlich auch ein Besuch beim IFC und die Inskripierung.

 

Nächster Halt: Afrika-Markt. In einer Seitenstraße haben Händler einen klischeehaften Afrika-Markt mit Holzstatuen, Savannenbilder und bunten Afrika-Kleidern eröffnet. Ein Afrika-Tourist (mit viel Geld in seiner Tasche) kommt dort voll auf seine Kosten. Einheimische (mit Ausnahme der Verkäufer) sieht man dort allerdings so gut wie nie. Gleich um die Ecke befindet sich eine Privatklinik bei der eine Freundin von mir für eine Ohrenuntersuchung bereits umgerechnet 60€ bezahlt hat – das entspricht dem Monatslohn vieler Kongolesen. Dieses Beispiel zeigt wie schwer ein Leben für die Kongolesen in Gesundheit ohne Krankenkassa und Versicherung ist.

 

Wieder ein Stück weiter befindet sich ein Café –auf gefühlte 12°C runter gekühlt.  Wenn wir mal Europa-Heimweh habe kaufen wir dort zu horrenden Preisen einen Schoko-Vanille-Frappe, schauen uns um in die Gesichter anderer Europaflüchtlinge, haben ausnahmsweise eine gedruckte Rechnung in der Hand und fühlen uns richtig wie daheim. Das gleiche Gefühl bekommt man im „Casino“ – so heißt der europäische Supermarkt in dem man alles frisch eingeflogen aus Frankreich bekommt. Außer Semmelbrösel. Auf die mussten wir beim Backen unserer Schnitzel verzichten. Apropos Schnitzel: für 5 Stück Putenfilet haben wir umgerechnet 15€ bezahlt und meiden seither das Casino aus mehreren Gründen. Zum Preis kommt nämlich auch die unfreundliche Atmosphäre. Die Klimaanlage schafft es irgendwie mit der Raumtemperatur auch das Gemüt der Menschen zu kühlen: gehetzte Verkäufer, unfreundliche Einkäufer, schlechtes Service. Das wiederum verstärkt unser Europagefühl. 

 

Weiter geht’s zum einzigen Buchgeschäft der Stadt. Ich übertreibe nicht. Für eine Million Einwohner gibt es eine Buchhandlung. Man kann zwar auf der Straße so manches Buch und viele Magazine finden, aber bei näherem Hinsehen mussten wir leider feststellen, dass das Hollywood-Magazin aus 2012 und das Fußballheft daneben aus 2009 kam.

 

Wir nähern uns nun schon dem Strand. Uns trennen nur noch der Hauptbahnhof und das Postgebäude von dem kühlenden Nass. Gleich der lang ersehnte Blick auf das Meer und wir erreichen endlich die Tropen. Palmen, Strandclubs und Wellen häufen sich in Ufernähe und ein langer Sandstrand lädt zum flanieren ein. Halb Pointe-Noire trifft sich dort sonntags – egal ob Kongolese, Chinese oder Mundele – zum sehen und gesehen werden. Nicht jedoch zum Baden wie man eigentlich annehmen würde. Da die Mehrheit der Kongolesen nicht schwimmen kann und die Atlantikwellen sehr hoch sind, trauen sich nur vereinzelte Verrückte (ich zähle mich stolz dazu) weiter als fünf Meter ins Wasser. Als meerlose Österreicherinnen genießen wir jede Möglichkeit unsere von der Tropensonne überhitzten Körper abzukühlen und kämpfen uns mindestens einmal pro Woche durch zu den kühlenden Atlantikwellen. Die Zeit am Strand vergeht so schnell, dass wir oft noch im Wasser von der hereinbrechenden Dunkelheit überrascht werden. Da sich Pointe-Noire nur knapp unter dem Äquator befindet, dauert der kongolesische Tag ziemlich genau 12 Stunden – das ganze Jahr über. Dementsprechend schnell vergeht der Übergang von Tag zu Nacht. Sowohl auf die Morgendämmerung mit Nebelschwaden als auch auf die Blauen Stunden am Abend zwischen Sonnenuntergang und Nachteinbruch, muss ich hier verzichten. Wenn um 5:45 Uhr mein Wecker läutet ist es stockfinster und außer dem vielstimmigen Vogelchor deutet nichts auf das heranbrechende Morgengrauen hin. Eine halbe Stunde später, wenn ich mich auf dem Weg von unserem Haus zur Morgenmesse mache, ist die Stadt mit ihren Gerüchen und Geräuschen bereits zu Leben erwacht und natürliches Tageslicht erhellt die Gässchen und Straßen vollkommen ausreichend. Besonders spektakulär ist der Sonnenuntergang am Meer. Innerhalb von Minuten versinkt eine große, zinnoberrote Kugel ins Meer und nimmt binnen kürze das gesamte Licht mit. Es erstaunt mich jedes Mal wieder, dass sich Lichtspektrum und Größe  eines Sternes bereits dann verändert, wenn man auf einem seiner Planeten mehrere Kilometer reist. Auch der Nachthimmel hier im Kongo ist es wert, näher betrachtet zu werden. Zunächst sind bei sternenklaren Nächten zirka doppelt so viele leuchtende Himmelskörper zu sehen wie bei uns. Oft bleibe ich abends wenn wir von den Chorproben heimkommen voller Bewunderung stehen und bestaune den Nachthimmel. Dabei werde ich von unseren kongolesischen Freunden, wegen meinem in ihren Augen kindischen Benehmen ausgelacht. Mein kindliches Staunen kann wahrscheinlich nur jemand verstehen der im Vergleich dazu den kargen, lichtverschmutzten Himmel der europäischen Peripherien kennt. Am meisten beeindruckt jedoch der afrikanische Halbmond. Dieser liegt anders als bei uns auf dem Rücken und lächelt mir abends zu wie ein Mund mit angehobenen Mundwinkeln.

 

Wenn wir den Strand also nach intensiver Beobachtung der Gestirne verlassen, müssen wir aufgrund der fortgeschrittenen Zeit meist ein Taxi nehmen. Spätabends einen passenden Bus zu finden bleibt ein Kunststück das uns nicht immer gelingt.

 

Der Wahl an Transportmittel für unsere allwöchentliche Odyssee sind keine Grenzen gesetzt. Letzten Montag (unser freier Tag) nahmen wir zum Beispiel den Zug zum Strand. Unweit der Pfarre befindet sich der Bahnhof unseres Viertels, dessen Verwendungszweck von den Kongolesen oft missbraucht wird. Sowohl Bahnsteig (gibt nur einen) als auch Gleise sind zu jeder Tageszeit gefüllt mit Menschen. Tagsüber dient der Bahnhof als Markt- und Umschlagplatz und in der Nacht wird er für viele Heimatlose (wenn auch illegal) zur Lagerstätte. Die paar Mal am Tag, an denen der Zug vorbeikommt, kündigt er sich schon von weitem durch lautes Pfeifen an. Es ist eher ein tiefes Brummen wie es nur Dieselloks zustande bringen. Der Lokführer muss damit nicht nur die Menschen von den Gleisen vertreiben, sondern auch den Autos an den unbewachten Bahnübergängen klarmachen, dass sie nicht mehr auf die Gleise fahren sollen. Dieses Unterfangen ist sowohl für Zug als auch Autofahrer nicht ungefährlich, da die Unbekannte „Stau“ noch mit einberechnet werden muss. Der französische Priesterstudent erzählte uns mit belegter Stimme, dass er mit dem Pickup der Pfarre im Stau eingezwängt auf den Gleisen stand und dann plötzlich das wohlbekannte Pfeifen des Zuges vernahm. In letzter Not und dank einiger halsbrecherischen Manöver ist es ihm gelungen sich rechtzeitig aus seiner misslichen Lage zu befreien.

 

Neben der modernen Zuggarnitur, die viermal pro Woche  zwischen den zwei größten Städten des Landes: Pointe-Noire und Brazzaville pendelt, gibt es auch noch den „gemütlichen Zug“ laut Ticket offiziell „Schul-Zug“ genannt. Jener fährt nur ins wenige Kilometer außerhalb gelegene Dorf N‘Gondi und retour. Allein für die 3 Kilometer von unserem Viertel bis zum Hauptbahnhof braucht er eine halbe Stunde. Was als Transportmittel also eher ungeeignet ist, wird für uns Abenteurer zu einem unvergesslichen Montagsausflug. Noch müde aber bereits mit einem mulmigen Gefühl im Bauch brachen wir an besagtem Morgen um 6:30 Uhr Richtung Bahnhof Tie-Tie auf. Die Diesellok mit ihren vier Waggons sollte planmäßig um7:00 Uhr ankommen, aber wir rechneten damit, womöglich sogar eine halbe Stunde länger am überfüllten Bahnsteig zu warten. Auf das Warten am Bahnsteig hatten wir uns eigentlich am wenigsten gefreut. Allein das Gebäude wirkt schon abstoßend. Auf einer freien, schlammbedeckten Fläche (manchmal als Markt verwendet) steht ein großer Betonklotz dessen Öffnungen mit ungemütlichen Eisengittern versperrt sind. Hinter einem der Gitter befindet sich die Bahnhofspolizei. Irgendwie hatten wir nicht so viel Lust auf ein Gespräch mit kongolesischen Polizisten und vermieden darum gleich das ganze Gebäude. Ein Blick in die kalten Räume genügte uns und wir beschlossen uns zu den weit und breit einzigen Frauen am Bahnsteig zu gesellen. „Schul-Zug“ finde ich eher euphemistisch ausgedrückt denn es waren anstelle der Schüler nur massenweise Arbeiter und Händler zu sehen. Bereits um 7:10 Uhr hörten wir das uns so wohlbekannte Geräusch, das den Zug ankündigt und plötzlich kam Bewegung in die Massen am Bahnsteig. Und ich verstand auch gleich warum sich jeder plötzlich einen Platz in erster Reihe am Gleis ergattern wollte. Man braucht nur den ohnehin schon überfüllten Zug mit den vier winzigen Waggons zu betrachten und dann den Blick zu den wartenden Mengen am Bahnsteig wenden. Man muss kein großes Mathe-Genie sein um zu erkennen, dass sich das nicht ausgehen wird. Aber wieder einmal zeigt sich: im Kongo ist alles möglich und wir bestiegen alle problemlos die Waggons. Drinnen angekommen waren wir als die einzigen zwei „Mundele“ DIE Attraktion der Reise. Uns wurden sogleich ein Platz und ein Heiratsantrag angeboten, wobei wir ersteren dankbar annahmen. Um das zweite Angebot auszuschlagen, wendeten wir wieder einmal erfolgreich unseren altbewehrten Trick an. Wir erzählten wir wären Klosterschwestern auf Mission im Kongo. Obwohl wir beide weder Kreuz noch Habit tragen, wird uns diese Ausrede immer abgekauft. Die Verehrer verziehen das Gesicht à la „So jung und Klosterschwester… was für eine Verschwendung“ und hauen dann ab.

 

Ich genoss es wieder einmal seit langem das vertraute „Padum-padum“ der rollenden Räder zu hören und noch mehr in die vom Anblick Weißer im Zug erstaunten Gesichter der Passanten zu sehen. Die Waggontüren blieben die ganze Strecke lang geöffnet sodass ständig junge Männer auf- und absprangen. Die Karten wurden im Zug selbst verkauft und kosten für die gesamte Reise € 0,23, ein billiger Spaß also. Bei den verschiedenen Halts auf der Strecke, die oft nur durch ein kleines Signal gekennzeichnet waren, leerte sich der Zug mehr und mehr. Schließlich tauchte links in der Ferne der Strand auf und wir wussten wir hatten unser Ziel gleich erreicht. Am Hauptbahnhof mussten wir unser gelungenes Abenteuer gleich mal mit einem Frühstück im Bahnhofscafé feiern. Darauf folgte der obligatorische Besuch am Strand und so konnten wir mit neuer, frisch aufgetankter Motivation unseren montäglichen Hausputz beginnen.

 

Irgendwie ticken hier im Kongo die Uhren anders als gewohnt. Für Neuankömmlinge (ich erinnere mich noch genau) ist das stundenlange Warten und Tratschen ziemlich anstrengend, doch hat man sich einmal an die kongolesische Zeitrechnung gewöhnt lernt man diese auch zu schätzen. „Die Besprechung beginnt um 17:00 Uhr“. Das heißt wenn wir so gegen 18:15 Uhr auftauchen reicht das völlig. „Die Versammlung zum Pfarrausflug ist um 8:00 Uhr“ bedeutet vor 10:00 Uhr fährt sowieso kein Bus weg. Allerdings kann man dabei auch ordentlich ins Fettnäpfchen treten. Am 8. Jänner fand die Patronatsfeier des Straßenkinderheims „Père Anton“ statt und der zuständige Pater Jean-Pierre versprach uns um 15:30 Uhr abzuholen. Um 15:29 saßen wir gemütlich in Joggingshosen um den Esstisch und freuten uns auf eine freie Stunde als plötzlich der Pater vor der Türe stand.

 

Die Messe fing trotz unserer Verspätung pünktlich um 17:00 Uhr an, doch offensichtlich hatte auch sonst niemand damit gerechnet. Die Gäste aus den Nachbarstraßenkinderheimen trudelten alle zwischen 17:30 Uhr und 18:00 Uhr ein. Es wurde trotzdem ein herrliches Fest mit ausgezeichnetem Essen und kongolesischer Musik. Pater Jean-Pierre sorgte mit seinen Tanzeinlagen für Stimmung unter den Jungs und um 20:00 Uhr mussten alle Gäste regelrecht mit Gewalt ins Bett gescheucht werden. Ein weiteres Highlight des Abends stand uns erst bevor. Denn aufgrund des Platzmangels im Auto mussten wir die Rückfahrt auf der Pick-up-Ladefläche verbringen. Es ist ein wahres Kunststück bei den unzähligen Schlaglöchern und Notbremsungen die Balance nicht zu verlieren. Diese sicher nicht ganz legale Spritzfahrt zählt zu den vielen großen und kleinen Abenteuern eines unvergesslichen Jahres im Kongo.

 

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Von Nikolausabenden und anderen durchwachten Nächten

Zunächst muss ich mich bei euch, liebe Leser, entschuldigen, denn ich habe mich jetzt schon eeeewig lange nicht mehr gemeldet. Schön langsam holt mich nämlich der kongolesische Alltag ein und die Tage und Wochen verrinnen viel zu schnell. Kaum ist die eine Aktivität beendet, fängt die nächste schon wieder an und – Schwupp – vergeht wieder ein Monat. Heute feiern Magda und ich unser viermonatiges Ausreisejubiläum, doch es ist eher eine Trauerfeier, weil uns auf einmal bewusst wurde, dass ein Jahr viel zu kurz ist um etwas auszurichten. Eigentlich benötigt man mindestens ein Jahr um die Sprache, Gewohnheiten, Strukturen der Pfarre, etc. kennen zu lernen. Leider werden wir nie über diese Kennen-Lern-Phase hinauskommen, aber wir versuchen wenigstens dieses „Hineinschnuppern“ gründlich auszuführen und darum lasse ich zurzeit so „Banalitäten“ wie Blogschreiben oder Kontakthalten mit Österreich zu sehr schleifen.

 

 

Ich habe außerdem mit Schrecken festgestellt, dass ich Euch noch nie eine ausführliche Beschreibung von den Teilprojekten der Pfarre St. Jean Bosco geschrieben habe. Neben den Gruppen und Bruderschaften (siehe letzter Blogeintrag) gibt es nämlich noch unzählige andere Aktivitäten in der Pfarre, angefangen von Schulen bis zu Gefängnisseelsorge.

 

Da das Unterrichten zu unseren Hauptaufgaben gehört, möchte ich zunächst die beiden Schulen näher beschreiben: Die „École Dominique Savio“, ein Schulkomplex bestehend aus Vollksschule, Mittelschule und - seit heuer -  Gymnasium sowie das „Centre de formation professionelle“, eine Berufsschule für Mechanik, Automechanik, Schweißen, Tischlerei und Elektronik.

 

  •         École dominique savio

 

Die Schule wurde 2007 vom damaligen Praktikant Frater Simplice Tchoungang gegründet und umfasste anfangs nur die ersten drei Klassen (CP1&2, CE1). Fr. Simplice war bis 2009 Direktor der Schule und wurde mit kurzer Unterbrechung von P. Alain abgelöst. Seither wird jedes Jahr eine neue Klasse eröffnet, heuer bereits die erste Klasse der Gymnasialoberstufe. Das kongolesische Schulsystem funktioniert ähnlich dem Französischen und wird aufgeteilt in École Primaire (die Klassen CP1, CP2, CE1, CE2, CM1 und CM2), Collège (6e, 5e, 4e und 3e) und seit heuer gibt es die erste Klasse des Lycées, die Seconde. Ich unterrichte die Klassen CE1, CM2 und 5e in Englisch sowie 5e auch Deutsch. Mit „meinen“ Schülern der 5. Klasse haben wir auch heuer wieder mit dem Freigegenstand „Bibliotheksratten“ begonnen, einem Buchklub der die Schüler zum Lesen motivieren soll. Wir treffen uns einmal in der Woche, lesen, besprechen Bücher und haben uns bei der Stadtbibliothek (dem Institut Français) inskribiert. Momentan sind wir damit beschäftigt eine Brieffreundschaft mit meiner ehemaligen Hauptschule in Österreich aufzubauen. Auf jeden Fall kann ich jetzt schon stolz behaupten, alle Namen meiner 5-Klässler zu kennen (obwohl ich immer noch nicht herausgefunden habe wie ich die drei Sarahs auseinanderhalten kann).

 

 

Die Schule ist eine katholische Privatschule und die Schüler müssen Schulgeld bezahlen. Die Inskription kostet je nach Klasse zwischen 5€ und 9€ und das monatliche Schulgeld beträgt zwischen 10€ und 25€. Der aktuelle Direktor, P. Jerry, konnte im Oktober 2015 feierlich die Eröffnung des neuen zweistöckigen Schulgebäudes feiern. Momentan gibt es 35 Lehrer und Mitarbeiter an der Schule sowie ca. 400 Schüler.

 

 

 

  •         Centre de formation professionelle

 

Die Berufsschule wurde vor 50 Jahren gegründet und gehört somit von Anfang an zur Pfarre. Sie wird aktuell von der Europäischen Union finanziell unterstützt. Der ehemalige Direktor, P.Kevin, hat ein Projektansuchen eingereicht und dieses wurde von der EU bewilligt. Die EU bezahlt zu 90% die Projektkosten, die restlichen 10% werden von einer spanischen, salesianernahen Organisation namens „Jovenes y Desarrollo“ beigesteuert. Im Rahmen des Projektes wurde bereits der Neubau der Berufsschule in Angriff genommen (Fertigstellung Juni 2015) und die verschiedenen Werkstätten konnten ausgestattet werden. Zur Kontrolle der finanziellen Ausgaben arbeitet ein Spanier namens Vincente für die beiden Organisationen und logiert dafür gratis bei den Patres.

 

Die technische Ausbildung dauert drei Jahre inklusive obligatorischem Praktikum. Zudem wird noch ein Abendkurs Informatik und eine Schnellausbildung (Dauer 6 Monate) angeboten.  Seit heuer wird die Schule von P. Alcide, einem Italiener, und Fr. Alain geleitet. Ich unterrichte Englisch in zwei ersten Klassen (89 bzw. 39 Schüler) und einer dritten Klasse (5 Schüler). Wir befinden uns gerade am Ende des ersten Trimesters und sind daher mitten in der Test-Phase. Ich musste bereits feststellen, dass das Korrigieren von über 200 Schularbeiten nicht eine Arbeit von zwei Minuten ist. Die Sekretärin der Berufsschule hat mir allerdings die Aufgabe erleichtert indem sie vergessen hatte die letzte Nummer des Testes auszudrucken. Damit hat sie nicht nur mich glücklich gemacht, sondern auch die Schüler, die von der Leichtigkeit meines Testes so begeistert waren, dass ich nicht mehr den Schulhof überqueren konnte, ohne von einer Horde von wildgewordenen Teenager bejubelt zu werden (kein Wunder- es fehlte ja die zweite Seite der Schularbeit). Nachdem mein anfänglicher Ärger (nächstes Mal gib ich die Schularbeit in PDF-Format ab!) verflogen war, habe ich mich dazu entschieden den Schülern die fehlenden 10 Punkte zu schenken und habe so die Noten einiger Kandidaten gerettet, die jetzt 14 von 40 Punkten haben.

 

 

Beide Schulen haben einen sehr guten Ruf, sind aber wegen des Schulgeldes nicht für jeden leistbar. Ein 40-Stunden-Job bei dem man mehr als hundert Euro im Monat bekommt, ist hier nämlich schon sehr gut bezahlt. Ein Lehrer an der Berufsschule (und damit ein Topverdiener) hat einen Stundelohn von umgerechnet ca. 4€. Außerdem müssen neben dem Schulgeld pro Kind auch noch Schuluniform, Jause, Schulbus und Schulbücher bezahlt werden.

 

Zwei weitere Aufgabenbereiche der Pfarre sind das Straßenkinderheim „Père Anton“ und die Gefängnisseelsorge.

 

  •         Foyer Père Anton

 

Das „Foyer Père Anton“ ist ein Heim für Burschen zwischen 7 und 16 Jahren, die sonst auf der Straße leben würden. Es wurde 2009 vom heutigen Bischof P. Miguel gegründet und bietet Platz für bis zu 20 verstoßene beziehungsweise verwaiste Burschen. Momentan leben dort 15 Burschen, die zum größten Teil an der „école dominique savio“ zur Schule gehen. Es gibt drei Betreuer, die unter der spirituellen Leitung von P. Jean-Pière die Jungs begleiten. Das Ziel des Heimes ist seinen Schützlingen eine Unterkunft, Ausbildung und einen raschen Einstieg in die Selbstständigkeit zu bieten. Mit 16 Jahren werden die Burschen nämlich „entlassen“ allerdings wird ihnen noch für 3 weitere Jahre ihre Ausbildung (teil)finanziert. Magdalena und ich machen jeden Mittwochnachmittag Sport mit den Burschen, oder helfen ihnen bei den Hausaufgaben. Außerdem haben wir mit ihnen eine Nikolaus-Feier organisiert. In der Nacht vom 5. auf 6. Dezember übernachteten wir bei den Burschen, nicht ohne ihnen vorher die Geschichte vom hl. Nikolaus und den Getreidesäcken zu erzählen. Die Weihnachtskekse, die wir eigentlich mit ihnen backen wollten, mussten aufgrund der Umstände Palatschinken weichen. Es gibt im Heim nämlich keinen Backofen und auf dem Kohlefeuer in der Pfanne Kekse „backen“ war leider kein Erfolg. Da wir die 15 traurigen Gesichter, die sich im Dunkeln (es war wieder mal Stromausfall) gespannt über die Pfanne beugten, nicht aushielten, haben Magda und ich kurzerhand umdisponiert und einen Palatschinkenteig gemacht. Diese funktionieren Gott-Sei-Dank auch im Dunkeln, in einer Pfanne über dem Lagerfeuer und retteten den Nikolausabend. Als wir dann alle gemeinsam im Kerzenlicht die Palatschinken mampften und dabei lautstark „Lustig-Lustig Tralalalala! Bald ist Nikolaus-Abend da!“ brüllten war der Abend perfekt und es brauchte einige Überredungskunst um unsere energiegeladenen Schützlinge ins Bett zu bekommen. Doch vorher durfte, nach alter niederländischer Sitte (Magda und ich sind ja beide Halb-Holländer), das Schuhstellen nicht vergessen werden. In Holland stellen die Kinder nämlich ihren Schuh vor die Tür und wenn man brav war kommt der Nikolaus (in dem Fall Magda und Ich) in der Nacht vorbei und legt was Süßes hinein. Und wirklich: die Burschen staunten nicht schlecht als am nächsten Morgen in Jedem Schuh ein Schlecker und ein Farbstift drinnen war. Das hob natürlich auch die Laune der beiden Nikoläuse, die aufgrund ihrer nächtlichen Aktivitäten nicht viel geschlafen hatten und um 5:30 Uhr durch den Lärm der sich freuenden Burschen wieder geweckt wurden.

 

 

 

 Außerdem gibt es seit diesem Jahr eine Zweigstelle, das „neue Foyer“:  ein Tages-Straßenkinderheim, das um vier Uhr nachmittags die Pforten schließt. Hier werden täglich Burschen  verköstigt, die sonst ihre Freizeit auf der Straße verbringen würden. Das Ziel dieses Tagesheimes ist den Burschen eine warme Mahlzeit pro Tag anzubieten und ihre Freizeit ein wenig abwechslungsreicher zu gestalten. Langfristig versucht P. Jean-Pière mit der Leiterin ein Zuhause für die Jungs zu finden beziehungsweise sie wieder in ihre Familie einzugliedern sofern diese noch vorhanden ist. Die Jungs in diesem Foyer schlafen zum größten Teil auf der Straße und besuchen keine Schule. Für die Medizinische Versorgung der beiden Heime ist „SAMI-social“, eine französische NGO, verantwortlich. Diese Organisation finanziert sich wie die beiden Heime durch Spenden.

 

 

 

  •         das Gefängnis

 

Die Pfarre ist für das Frühstück und ein Mal im Monat für die Messe im Gefängnis verantwortlich. Maman Josephine fährt jeden Tag, mit Lebensmittel ausgestattet von P. Valentino, (er kennt viele Supermärkte, die ihm Lebensmittel spenden und vor allem in der Erdölszene viele potentielle Spender)  ins Gefängnis und bereitet dort das Frühstück zu. Dabei „besticht“ sie das Betreuer Personal täglich mit illustrierten Magazinen, die P. Valentino irgendwo auftreibt. Auch im Gefängnis zeigt sich dass man mit ausreichenden finanziellen Mitteln vieles erreichen kann: Einzelzellen, doppelte Essensportion, Tabak, Frauen und schließlich die Freiheit, wie die Insiderin Josephine zu berichten weiß. Das Gefängnis stammt noch aus der Zeit der französischen Kolonialherrschaft und ist für rund 70 Gefangene ausgelegt. Momentan befinden sich dort über 300 vorwiegend junge Männer. Vom Staat ist nur eine Mahlzeit am Tag vorgesehen und darum organisiert die Pfarre das Frühstück. Ein Mal im Monat begleite ich Josephine, helfe ihr beim Tragen und Teile mit ihr das Essen aus. Wenn wir zu zweit auf der Straße unterwegs sind, werden wir oft von ehemaligen Häftlingen angeplaudert, die vor der alten Dame größten Respekt besitzen. Sie ist die einzige Frau Pointe-Noires, die ohne Angst vor Diebstahl mit ihrer Handtasche spazieren gehen kann. Sie genießt nämlich den Schutz sämtlicher Diebstahl-Mafia-Oberhäupter, die ihr alle vom Gefängnis gut bekannt sind.  Zu Weihnachten organisiert sie gemeinsam mit dem Bischof ein Festessen für die Häftlinge und zu dieser Gelegenheit werden die Insassen (wohl das einzige Mal im Jahr) mit Zahnbürsten, Unterwäsche und ähnlichen Gebrauchsgegenständen beschenkt.

 

 

 

Ich habe den Eindruck, dass Weihnachten hier für viele Menschen ein gewöhnlicher Tag wie jeder andere ist. Mit Ausnahme der Messe am Abend gibt es - soweit ich weiß - keinen besonderen Brauch wie bei uns das Ausräuchern oder Gräberbesuchen. Die meisten Leute mit denen ich gesprochen habe, verbringen den 25. Dezember mit der Familie oder gehen sogar arbeiten. Die Adventzeit nimmt hier auch keine so große Rolle ein wie zum Teil in Österreich. Der einzige Adventkranz Kongos (davon sind wir zu mindestens überzeugt) befindet  sich in unserem Häuschen. In einem Anflug von Nostalgie haben Magda und ich uns einige Palmblätter geschnappt (Nadelbäume sind hier sehr rar), diese um einen Metallreifen gewickelt und vier Kerzen drauf gesteckt. Das Resultat ist eine kongolesische Adaption eines europäischen Brauches, der von unseren Freunden anfangs interessiert aber auch mit Argwohn betrachtet wurde. Mittlerweile ist das erste, was unsere Besucher machen, sich ein Feuerzeug schnappen und den Adventkranz anzünden. Und das ca. 10 Mal pro Abend denn der Ventilator, der wegen der Hitze permanent läuft, bläst sie immer wieder aus.

 

 

 

Eine der wenigen adventlichen Aktivitäten der Pfarre war die sogenannte „Jugendrekollektion“, bei der sich über 180 Jungendliche der Pfarre in überfüllten Busse quetschten um gemeinsam in einer anderen Pfarre Adventandacht zu halten. Doch ich hatte das Gefühl, dass es in Wirklichkeit nur um den gemeinsamen Ausflug ging. Die Abfahrt war um 8:00 Uhr geplant und wir stiegen pünktlich (auf kongolesisch) um 9:30 Uhr in die Busse. Auf halbem Weg hieß es jedoch Endstation da die Sandpiste wegen Überflutung nicht mehr passierbar war. Laut singend gingen wir den restlichen Weg bis zur Pfarre St. Augustin zu Fuß. Es folgten ein Vortrag von Fr. Alain zum Thema Advent und anschließend eine Diskussionsrunde. Danach wurden die mitgebrachten Leckereien ausgepackt (erinnerte mich stark an Wandertag in der Volksschule) und brüderlich verteilt. Bei sengender Mittagshitze beteten wir in der Mariengrotte einen Rosenkranz und zum Abschluss zelebrierte P. Jerry die Messe. Der richtige Spaß begann erst nach Ende des Programmes beim Warten auf die Busse. Die Animateure (so ähnlich wie Jungschargruppenleiter) holten ihr ganzes Können hervor und wir spielten, tanzten und schrieen irgendwelche dummen Sprechchöre. Die ganze Heimreise wurde weiter gejohlt und geschrien und die Atmosphäre war kongolesisch heiß. Nach solchen Tagen (von denen es in unserer Pfarre mehr als genug gibt) fällt man müde, aber zufrieden ins Bett und schläft trotz Moskitos felsenfest.

 

 

 

Nicht ganz so gut geschlafen habe ich in der Nacht vom 26. November auf einer Matte am Boden neben zwei pausenlos bespielten Trommeln. Aber von Anfang an: Am 20. November ist ein Mitglied unseres Chores, Edith, verstorben und das bedeutet jeden Abend Nachtwache. Ab 18:00 Uhr trifft der ganze Chor bei den Angehörigen der Verstorbenen ein. Vor dem Haus wurden unzählige Stühle und sogar ein Partyzelt (man muss ja immer mit Regen rechnen) aufgestellt. Als wir dort ankamen waren bereits viele Nachbarn und Bekannte da. Edith war erst 26 Jahre alt und es hat sich herumgesprochen, dass sie bereits seit 2009 gegen AIDS kämpfte. Andere behaupten wiederum, es sei Krebs gewesen; auf jeden Fall ist die Anteilnahme der Trauernden groß. Wir setzten uns gemütlich zu den anderen Chormitgliedern, plauderten ein wenig und warteten bis es losgeht. Die Leute kamen und gingen, setzten sich nieder und standen wieder auf aber „es“ begann nicht. Schließlich stellte sich heraus, dass das Dasitzen und Anteilnahme zeigen alles ist, was man bei der sogenannten „Veillée“ macht. Man plaudert, denkt nach, betrachtet den wunderschönen, kongolesischen Mond, der auf dem Rücken liegt und geht um 22:00 wieder nach Hause. Damit war das Abendprogramm der folgenden Woche schon festgelegt. Täglich trafen wir uns mit dem Chor bei den Angehörigen und in den folgenden Nächten hatten einige Chormitglieder ihre Trommeln und Rasseln mitgenommen. Die Frauen stimmten daraufhin herzzerreißende Trauerlieder auf Munukutuba an, und allein schon von der Melodie (den Text hab ich ja nicht verstanden) sprangen mir Tränen in die Augen. In der letzten Nacht vor dem Begräbnis ist es üblich, dass alle Trauernden bei der Familie übernachten. Im Haus war ein leerer Sarg aufgebahrt, um den die Trauernden laut schreiend und weinend herumgingen und Ediths Namen riefen. Gemeinsam wurde geschrien, geschluchzt und den Emotionen freien Lauf gelassen. Der Chor hatte Lautsprecher mitgenommen und die ganze Nacht wurde die ganze Nachbarschaft mit kongolesischer Musik beschallt. Diese lieferte sich wiederum einen Wettbewerb mit den Trommlern unseres Chores, wer am lautesten war. Magda und ich entschieden uns spontan auch dort zu übernachten, borgten uns von einem Freund eine Strohmatte aus und beschlagnahmten den letzten freien Platz: nämlich direkt neben den Trommeln. Von Moskitos und Musik geplagt, verbrachten wir also die Nacht halb schlafend –halb plaudernd bei der Veillée nur um um 5:00 Uhr kurz nach Hause zu gehen, zu duschen und gleich danach den Unterricht zu beginnen. Mit dem Mittagsschlaf mussten wir allerdings noch bis nach dem Begräbnis warten, das noch den ganzen Nachmittag dauerte.

 

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Alltag?-gibt es nicht!


Während Ihr euch, liebe Leser, zu Hause gemütlich mit einer Decke zum eingeheizten Kamin kuschelt, eine Martinigans in den Ofen schiebt, oder sonst irgendwelche winterlichen Aktivitäten unternimmt, überlege ich hier verzweifelt wie ich mich bei sommerlichen Temperaturen in Winterstimmung versetzen kann. Hier in Pointe-Noire, knapp unter dem Äquator, hat sich seit meiner Ankunft der Sonnenauf- bzw. –Untergang um keine Sekunde verändert. Meine innere Jahresuhr erwartet schon seit Wochen (vergeblich) dass die Tage kürzer werden und die Temperaturen sinken. Darum ist meine innere Uhr ungefähr Mitte September stecken geblieben und ich fühle mich als befände ich mich bereits seit zwei Monaten im Spätsommer. Als ich gestern wach wurde und mir einfiel, dass in zwei Wochen schon die ersten Adventmärkte öffnen, hab ich erst einmal einen ziemlichen Schock bekommen. Adventstimmung bei tropischer Hitze und beinahe täglichen Regengüssen? das geht nicht. Aber Feierstimmung herrscht bei uns in der Pfarre trotzdem- wenn auch keine winterliche.


Letztes Wochenende wurde nämlich in einer feierlichen zweieinhalbstündigen Messe das Pastorale Jahr vom Bischof eröffnet. Jetzt beginnen offiziell alle Aktivitäten der Pfarre: alle Gruppen, Vereinigungen, Chöre und Bruderschaffen der Pfarre haben sich und ihre vielseitigen Tätigkeitsbereiche vorgestellt. Einen Überblick über diese 63 Organisationen zu erhalten ist nicht so leicht, vor allem weil die Koordination bei dieser Anzahl nicht so leicht ist und manche Gruppen mehr oder auch weniger aktiv sind. Aber ich werde mein Bestes geben dieses äußerst komplizierte Pfarrleben zu beschreiben. Ich beginne bei den Chören: Es gibt in unserer Pfarre 6 aktive Chöre, der größte - Christ König - hat über 100 Mitglieder (natürlich nicht alle aktiv). Er ist für die elf Uhr Messe am Sonntag verantwortlich. Der Jugendchor „die Engel“ singt bei der Jugendmesse um acht Uhr, wie der Chor Christ König auf Französisch, Munukutuba und anderen hiesigen Sprachen. Bei der englischen Messe um 9:30 Uhr singt der Chor „Don Bosco“ größtenteils bestehend aus der nigerianischen Gemeinschaft der Pfarre auf Englisch. Die Messe am Abend um 18:00 Uhr wird vom Gregorianischen Choral gestaltet, der auch häufig auf Latein singt und wahrscheinlich auch der kleinste Chor der Pfarre ist. Dann gibt es noch den Chor „Mama Maguerite“ benannt nach der Mutter von Don Bosco, der in der inkorporierten Pfarre Tchimbambuka singt. Die meisten Chöre proben drei Mal pro Woche am Abend und dementsprechend professionell klingt das sonntägliche Resultat. Jeder Chor besitzt auch eigene Lautsprecheranlagen, Keyboards, Trommeln und so weiter um die Kirche ausreichend beschallen zu können. Magdalena und ich haben uns nach längerem Ausprobieren und Überlegen für den englischen Chor entschieden um unsere schwindenden Englischkenntnisse aufzubessern.


Und bei den Messen unter der Woche? Da gibt es natürlich auch eine musikalische Begleitung. Für jeden Wochentag gibt es eine verantwortliche Bruderschaft die mit Trommeln, Rasseln und Tamburin ausgestattet die Messe gestalten. An dieser Stelle muss ich die Bruderschaften erklären, denn für Nicht-Kongolesen klingt das vielleicht ein wenig befremdend. Die Gemeinschaften, bestehend aus 20-70 meist weiblichen Mitgliedern, treffen sich mindestens einmal pro Woche zum Gebet, Gesang aber auch zur Fortbildung. Die Bruderschaften sind einem gewissen Heiligen oder einer berühmten Figur der kongolesischen Kirche geweiht und ihre Tätigkeiten richten sich entsprechend nach ihrem Patronen. Da gibt es zum Beispiel die Legion Mariens die in den Marienmonaten Mai und Oktober zusätzlich zu ihren regulären Treffen in der Mariengrotte Rosenkranz beten. Oder die Gemeinschaft Emile Biayenda, benannt nach einem kongolesischem Kardinal und Märtyrer der aufgrund seines Einsatzes für das kongolesische Volk in den 70er Jahren ermordet wurde, so wurde mir erzählt.


Damit man die Mitglieder einer Vereinigung kennt, tragen sie während der Messe bunte Kopftücher, die mit ihren Schutzpatronen bedruckt sind. So hat die Bruderschaft der Heiligen Rita, die für die Messe am Mittwoch verantwortlich ist, rosarote Kopftücher mit dem Bild der Heiligen Rita. Außerdem hat jede Bruderschaft eigene Parolen, die während der Messe laut proklamiert werden. Nicht selten unterbricht der Pfarrer seine Predigt und schreit ins Mikrophon: „Saint Michel!“ und die Bruderschaft des Heiligen Michaels antwortet einstimmig: „Beschütze uns im Kampf!“ um nur ein Beispiel zu nennen. Die Bruderschaft übernimmt aber auch die Funktion einer Versicherung. Die wenigsten Menschen sind hier staatlich oder privat versichert. Wenn man also krank wird und finanzielle Unterstützung bei der Behandlung benötigt, dann legen einfach alle Mitbrüder ihr Erspartes zusammen und helfen dem Patienten aus der schwierigen Lage. Die kranken Mitglieder werden natürlich auch zu Hause besucht und durch das Gebet und dem guten Willen der Bruderschaft ist man schnell wieder gesund. Insgesamt sind die Gruppen sehr gut organisiert und wenn sie für eine Aufgabe eingeteilt werden (wie die monatliche Essensvergabe im Gefängnis) dann kann man sich darauf verlassen, dass diese ordnungsgemäß erledigt wird. Immerhin will sich keine Bruderschaft nachsagen lassen, dass sie faul und unordentlich ist. Wie in jedem sozialem Gefüge ist der soziale Druck vorhanden und die gegenseitige Kontrolle tut ihr Übriges.


Auch für die Jugend gibt es genügend Gruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten denen man meist gratis beitreten kann. Die einzigen Gruppen, die auch in Österreich bekannt sind, sind die Pfadfinder und die Ministranten, hier „Samuel“ genannt. Ministrieren dürfen hier allerdings nur Burschen, für die Mädchen gibt es die „Elisas“, deren Mitglieder in Bunten Kostümen sonntags während der Messe Cheerleader-ähnliche Tänze aufführen. Außerdem gibt es noch viele andere Gruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die natürlich wie die Erwachsenen Parolen und bedruckte Tücher haben:

  • die „Freunde von Don Bosco“ deren Schwerpunkt auf Spiel und Hausaufgabenbetreuung liegt
  • „Yambote“, im Wesentlichen eine Tanzgruppe
  • „Kisito“ bereitet in ihren Fortbildungen auf die Ehe vor
  • „Telema“ mit Fokus auf Gebet und Fortbildung
  • „Jugend des Lichtes“
  • „Freunde von Dominique Savio“ benannt nach einem Schüler Don Boscos der als Kind starb und dessen Ziel es war Heilig zu werden. u.v.m.

Die Jugendgruppen treffen sich meistens samstags oder sonntags und wie bei der Jungschar treffen sich die Verantwortlichen öfter um die Versammlungen zu planen. Magda und ich haben aber noch nicht genau herausgefunden was jetzt der Unterschied zwischen den zahlreichen Gruppen ist und haben uns drum noch nicht entschieden wo wir mitmachen.


Wie Ihr Euch, liebe Leser, vorstellen könnt, ist es bei 63 (ja ich hab sie gezählt) Vereinigungen und Gruppen der Pfarre niemals still auf dem Areal und in den Versammlungsräumen rund um die Kirche. Wenn man abends zwischen 18:00 und 20:00 Uhr in der Pfarre herumgeht, könnte man glauben, dass man auf einem Zeltfest gelandet ist. Überall stehen Leute herum, die tratschen oder sich einfach in der Pfarre mit ihren Freunden treffen. Es herrscht eine angenehme Atmosphäre und aus mindestens 3 Sälen dringt zugleich der Gesang der Chöre. Wenn wir dann um 20:00 unsere Chorprobe beendet haben, gehen wir in die Communauté, der Bereich in dem die Patres wohnen, und essen gemeinsam mit ihnen zu Abend. Wenn wir aber vom Mittagessen immer noch so satt sind (und das ist der Normalfall) gehen wir direkt zu uns nach Hause und lassen den Abend gemütlich mit ein paar Freunden ausklingen.  Recht lange aufbleiben gelingt hier sowieso nicht, denn am nächsten Tag wird wieder hart gearbeitet und selbst die härtesten Batterien müssen aufgeladen werden. Und die Batterie ist tatsächlich ziemlich schnell leer wenn man (so wie ich) 89 Berufsschüler zwischen 14 und 25 zugleich Englisch beibringen muss. Wenn man zum ersten Mal die Klasse betritt und von 89 Gesichtern neugierig angeblickt wird, muss man schon schlucken. Ich hatte allerdings noch nicht oft die Gelegenheit, meine Fähigkeit als Entertainer von 89, mehr an meiner Person als an meinem Fach interessierten  Burschen unter Beweis zu stellen. Die zweite Stunde ist nämlich aufgrund meiner „afrikanischen Taufe“ ausgefallen, wie mein erster Kontakt mit Malaria liebevoll von den Patres genannt wurde. Bei mir war der Ausbruch der Tropenkrankheit, gegen  die man sich nicht impfen kann, nicht zu übersehen: Innerhalb von 3 Stunden hatte ich 40,5 Grad Fieber, aber fast genauso schnell (naja zwei Tage, eine Spritze und gefühlte 20 Tabletten später) war ich wieder fit und konnte wieder vergnügt Schüler aus der Klasse rauswerfen.


Einen viel gravierenderen Einfluss auf das Schulgeschehen hatten die neuesten politischen Ereignisse hier im Kongo. Die ganze Woche vor dem Referendum (vom 26.10. 2015) war die Schule geschlossen und auch Magda und ich blieben zur Sicherheit Tag und Nacht in der Pfarre. Die Opposition hat zu Märschen, Demonstrationen und Streiks aufgerufen um die Abstimmung zu verhindern. Dementsprechend hatte das Verletzte und sogar einigen Tote zur Folge und natürlich viel Angst unter der Bevölkerung. Verkäufer, Taxifahrer und Schüler blieben zu Hause und die sonst so angefüllten Straßen waren wie leergefegt. Zur gleichen Zeit stieg der Lebensmittelpreis ums doppelte an wegen den Hamstereinkäufen, an denen unsere Pfarre auch fleißig teilnahm. Doch am meisten fiel die dauernde Polizei- und Militärpräsenz auf. Fast an jeder Straßenecke waren bewaffnete, meist ausländische Uniformierte stationiert um eventuelle Meutereien zu vermeiden. Am Sonntag in der Früh, dem Tag des Referendums, bekam die Pfarre ungewünscht Besuch vom Militär, das die Kirchenglocken um 5:00 Uhr gehört hatte. Daraufhin wurden, aus einem nicht näher genannten Grund, alle kirchlichen Aktivitäten der Pfarre (inklusive der 5 sonntäglichen Messen!!) verboten. Man hatte wohl Angst vor einer aufstachelnden Predigt.  Also feierten wir zu Fünft (zwei Paters, der Praktikant, Magdalena und ich) in einer komplett leeren Pfarre eine Privatmesse. Die Wahlbeteiligung lag, je nach Quelle, zwischen 7 und 72 Prozent und laut offiziellem Statement der Regierung hat 92 Prozent der Bevölkerung mit „JA“ für eine Konstitutionsveränderung gestimmt.


In dem ganzen Trubel um die Abstimmung haben wir fast auf unseren Nationalfeiertag vergessen. Was für die meisten Österreicher ein freier Tag mehr bedeutet, wurd hier im in Pointe-Noire zu einem spannenden Ereignis für uns und unsere Freunde. Diese waren nämlich sofort begeistert als wir vorschlugen für sie Gulasch zu kochen. Es wurde ein gemütlicher Abend mit Österreichischem Essen und Kongolesischer Musik. Eine auf dem ersten Blick unorthodoxe Mischung, die aber ausgezeichnet die kulturelle Vielfalt im Kongo wiedergibt.


Liebe Grüße aus Pointe-Noire!


P.S.: Ich freu mich über eure Rückmeldungen!


Lydia


 

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"OUI" oder "NON": das ist hier die Frage...

Der heutige Tag begann wie ein durchschnittlicher Tag hier im Projekt. 05:45 Uhr aufstehen, anschließend im Slalom den Pfützen ausweichen, schließlich die Straße unter Lebensgefahr überqueren bis wir sieben Minuten später die Kirche erreicht haben. Nach der Messe frühstücken Magdalena und ich wie gewohnt mit den anderen Paters und ich bereite vor der Englischstunde noch kurz meine Schimpftirade vor, die sich meine 35 energiegeladenen Schützlinge anhören müssen. Ich beende meinen Unterricht pünktlich zu Mittag und mache mich auf den Weg nach Hause. Kaum auf der Straße angekommen, fallen mir sofort junge Männer auf, die durch die Straße ziehend Pappkartons mit „NON“ in die Höhe halten. Mir ist sofort bewusst, dass ich hier in eine sehr politisch angeheizte Angelegenheit geraten bin. Denn mittlerweile reichen meine Französisch-Kenntnisse schon so weit, dass ich mich mit dem ein oder andern über Politik und das bevorstehende Referendum unterhalten kann. Am 25. Oktober 2015 wird hier nämlich abgestimmt, ob die Konstitution verändert werden darf oder nicht. Die Verfassung sieht es nämlich nicht vor, dass der Präsident älter als 70 ist und eine dritte Amtszeit beginnt. Der aktuelle Präsident Sassou Nguesso ist 72 Jahre alt, seit 1997 durchgehend Staatschef und bereits in seiner zweiten Amtsperiode. Wenn das Volk also am 25. Oktober „OUI“ wählt, wird die Verfassung umgeschrieben und damit indirekt eine dritte Amtsperiode des Präsidenten eingeleitet, soweit ich das richtig verstanden habe. Ein „NON“ würde eine Beibehaltung der bisherigen Konstitution von 2002 bedeuten.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf und ein wenig aufgeregt drehe ich wieder um und gehe in die Pfarre. Dort wartet Magda auf mich und sie weiß schon mehr: Heute finden in unserer Stadt Demonstrationen und Protestmärsche statt, die gegen eine Verfassungsänderung sind. Die Köchin, die zufällig in der Nähe ist, ergänzt: „Demonstranten aus dem ganzen Land treffen sich heute hier um gemeinsam zum Rathaus zu ziehen und „NON“ zu schreien. Der Präsident hat den Demonstranten verboten mit dem Zug oder dem Flugzeug anzureisen und die meisten sind daher mit dem Auto oder zu Fuß gekommen. Alle Märkte, Geschäfte und Stände sind heute geschlossen da jeder Angst vor gewaltsamen Unruhen hat.“ Sie ist jedoch davon überzeugt, dass der Präsident so oder so wiedergewählt wird und geht daher nicht wählen. Tja. Aus dem geplanten Strandausflug mit unseren Freunden wird wohl heute nichts mehr, vor allem weil wir von allen Seiten gewarnt wurden die Pfarre heute nicht zu verlassen.

Magdalena und ich können es trotzdem nicht zulassen, so ein historisches Ereignis in der Pfarre zu verschlafen ohne zuzuschauen. Wir gehen also ein paar Schritte aus dem Gelände hinaus und befinden uns mitten auf der „Rue de l’Independance“, der längsten Straße Pointe-Noires. Und schon wieder sehen wir vor allem Männer die Fahnen mit „NON“ schwenken. Wir beobachten auch vollgepackte Busse, die alle Richtung „Meeting“ aufbrechen, wie die Demonstration vorm Rathaus genannt wird.

Der Präsident selbst ist natürlich nicht in der Stadt. Vor einer Woche war er hier und hat das neue Flughafengebäude eröffnet. Während seinem Aufenthalt letzte Woche waren viele Läden und Märkte geschlossen weil sich damals schon die Einwohner Pointe-Noires vor Aufruhr gefürchtet hatten. Die Stadt selbst war natürlich bunt geschmückt. Überall hängen große Banner mit „Wir wählen einstimmig JA führ unseren Staatschef Herrn Sassou Nguesso“ oder ähnlichen Parolen. Man sah damals auch Leute, die T-Shirts trugen auf denen groß „OUI“ stand. Böse Zungen hier behaupten, dass sie Geld dafür bekamen.

Heute ist alles anders. Immer mehr Männer machen sich vor unserer Tür auf dem Weg zur Demo während wir mit den Patres Mittagessen gehen. Natürlich sind die politischen Bewegungen auch hier das Tischgesprächsthema Nummer Eins. Anstatt zu diskutieren, wer „der Herr sei mit euch“ in den meisten Sprachen sagen kann, wird heute politisiert und über mögliche Szenarien der kongolesischen Politik gesprochen. Einen Bürgerkrieg hier in Pointe-Noire? Dazu wird es nicht kommen, sind sich alle einig. Wir leben nämlich in der wirtschaftlichen Hauptstadt des Landes und daher sind alle daran interessiert, dass hier der Alltag so abläuft wie immer. Gemeinsam am Tisch mit den Patres – eine bunte Mischung aus Italienern, Kongolesen aus beiden Republiken und einem Gabunesen – hört man jedoch auch ziemlich abenteuerliche Geschichten. Der Präsident soll ja angeblich die katholischen Bischöfe mit verschiedenen Geschenken in das „OUI“-Lager eingekauft haben. Manche behaupten gar, dass er die Verfassung sowieso im Geheimen schon umgeschrieben hat. Wieder einer hat gehört, dass der Präsident als Weißer verkleidet Ärztebetrüger im Krankenhaus entlarvt hat.

Auf jeden Fall dürfte es keine starke Opposition geben, die im Stande wäre den Präsidenten auf die Finger zu schauen. Es gebe - laut Patres - auch keinen ernsthaften Gegenkandidaten bei der geplanten Präsidentschaftswahl im Juni 2016. Während unserer Unterhaltung hört man immer wieder von Weitem Sirenengeheul, Hupen und schreiende Menschen. Ein Pater berichtet, dass es im Stadtzentrum sogar schon einen Toten gebe. Ein anderer widersprach und meinte, es seien nur mehrere Personen verletzt und ein Polizeiauto zerstört. Wieder ein anderer vermutet, dass sich unter den Demonstranten pro-präsidentische Unruhestifter verstecken die dem Präsidenten Angriffsfläche bieten aufgrund ihrer Gewalttätigkeit. Der nächste wirft wiederum ein, dass wahrscheinlich alle Protestierenden von der Opposition angeheuert wurden. Außerdem werde der Präsident rund um den 25. Oktober Tribunale ins Leben rufen um die Opposition zu schwächen. Aber so ganz sicher weiß man hier nichts.

Während dieses Gesprächs muss ich einen ziemlich bestürzten Eindruck gemacht haben, denn ich werde prompt gefragt ob ich leicht jetzt Angst habe. Ich bin echt stolz auf mich, dass ich in perfektem Munukutuba („Munu ke na boma vé“) diese Frage verneinen kann, aber ein mulmiges Gefühl im Bauch bleibt. Auch die Patres machen uns klar, dass wir heute die Pfarre nicht verlassen dürfen und in nächster Zeit (bis zum Referendum) allgemein sehr vorsichtig sein sollen. Ich nutze diesen freien Nachmittag um mich ein wenig in den Medien schlauzumachen über die politische Situation hier im Kongo. Die Patres haben mir abgeraten hier zu sehr den Zeitungen zu vertrauen. Es gebe ein sehr pro-präsidentisches Blatt und natürlich das genaue Gegenteil aber die Wahrheit liege meist in der Mitte. Der französische Radiosender hat bereits vor ein paar Tagen über das Referendum berichtet (und übrigens auch über die Wien-Wahlen in Österreich) aber so ganz genau konnte ich dem Kommentator nicht folgen.

Am Nachmittag beschließen Magda und ich gemeinsam mit einem Pater nochmal hinauszuschauen. Wir kommen genau rechtzeitig um tausende junge Männer zu beobachten, wie sie singend und Fahne schwenkend von dem Meeting zurückmarschieren. Dieses Ereignis werde ich glaub ich mein Leben lang nicht vergessen. Laut grollende Männerchore, die die Kongolesische Nationalhymne schmettern. Schaulustige, die am Wegrand stehen und sich spontan den aufbegehrenden Menschenmassen anschließen. Immer wieder Militär- und Polizeifahrzeuge, die sich ihren Weg durch die langsam vorwärtsströmende Menge bahnen. Spontan umgedichtete Lieder auf Munukutuba und Französisch, die sich momentan alle gegen den Präsidenten richten. Eilig zusammengebastelte Plakate und flüchtig geschriebene Parolen auf Kartons, die laut schreiend in die Höhe gehalten werden. Und keiner dieser Demonstranten trägt eine Waffe oder wird grob gewalttätig.

Dabei darf man den ungeheuren Mut dieser Menschen nicht vergessen. Bei uns ist es eine Selbstverständlichkeit jederzeit frei seine Meinung zu äußern und offen über Politik zu sprechen. Ich habe jedoch den Eindruck, dass die Menschen hier sehr politikverdrossen sind, zum größten Teil nicht zur Wahl gehen und eigentlich nichts sehnlicher wünschen als Frieden und Freiheit. Und genau für diese Werte geht man hier eben auch unter großem Risiko auf die Barrikaden.

 


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Madame Lydia

Seit etwas mehr als 2 Wochen gehe ich wieder täglich in die Schule, nur diesmal nicht als Schülerin sondern als Lehrerin. Madame Lydia eben. Ehrlich gesagt, als Schüler unterschätzt man die Arbeit gewaltig, die hinter einer Schulstunde steckt. Wenn ich mal keine Hausaufgabe gemacht habe, war das als Schüler ziemlich egal, aber spontan eine Doppelstunde Englisch halten - ohne Vorbereitung – das funktioniert nicht! Die größte Herausforderung ist nämlich, dass die Schüler keine Englisch- oder Deutschbücher besitzen. Sie haben nur ein Heft in dem sie das Gelernte von der Tafel abschreiben. Und in einer Klasse mit 35 Schülern ist das nicht so leicht. Wenn die Ersten fertig sind haben die anderen noch nicht einmal ihr Heft ausgepackt. Außerdem regen sich meine Schüler immer auf weil sie meine Schrift nicht lesen können. Okay, ich weiß, dass ich nicht besonders schön schreibe, aber nachdem ich zum (gefühlten) hundertsten Mal erklärt habe, dass das ein „t“ ist und kein „f“, bin ich schon etwas frustriert. Und als ich im nächsten Heft schon wieder „gufen Morgen“ lese, beschließe ich beim nächsten Mal eine Kopie auszuteilen.

Eine brauchbare Kopiervorlage zu erstellen braucht zwar viel Zeit aber es lohnt sich: Man verliert keine Zeit beim abschreiben und kann gleich verschiedene Aufgaben zum Neu-Gelernten mit kopieren. Der Schock kam nur in der darauffolgenden Stunde: die Hälfte der Schüler hat den Zettel vergessen und die andere Hälfte hat einen zerknitterten unlesbaren Papierfetzen aus der Schultasche geholt. Also hole ich wieder die Kreide heraus und beginne wieder mit meiner Krakelschrift die Tafel zu verzieren. Dann wäre da noch die Sache mit den Namen. Ich habe 6 neue Klassen mit jeweils rund 35-40 Schülerinnen und Schüler. Das macht rund 200 Namen die ich lernen muss. Und Namen wie „Sahara Justance“ oder „Anaclet Emmanuel“ merkt man sich nicht so gut. Und dazu kommt, dass die Mädchen gefühlt alle 3 Wochen ihre Frisur wechseln.

Aber als frischgetaufte Lehrerin erlebt man auch schöne Momente. Wenn man zum Beispiel am Schulhof ganz begeistert von den Kleinsten mit „good morning“ begrüßt wird, schlägt jedes Lehrerherz höher. Gerade für meine jüngsten Schüler (rund 7 Jahre) musste ich lange überlegen wie ich den Unterricht gestalte. Einerseits will ich nicht zu viel schriftlich machen sondern eher spielen und singen aber ohne Englischbuch ist das nicht so leicht. Also habe ich viele Kärtchen und Bilder gemalt mit aufgehenden Sonnen und lachenden Gesichtern für „good morning“ und „I’m fine thanks“. In meiner jüngsten Volksschul-Klasse bleibt die Klassenlehrerin immer dabei und macht selbst auch fleißig mit weil sie auch Englisch lernen will. Das hat den praktischen Nebeneffekt, dass die Schüler ruhiger sind, denn die Lehrer hier greifen meistens strenger durch und achten mehr auf Disziplin und Ordnung als wir Volontäre. Aber mit bis zu 45 Schülern in der Klasse muss man wahrscheinlich auch härtere Konsequenzen setzen, wenn man die Kontrolle behalten will. Dieser Ordnungssinn ist schon so weit in den Schülern verankert, dass sie mich oft bitten einzelne Schüler zu schlagen oder vor die Tür zu stellen, nur weil sie zu laut waren. Ich habe mich gegen Körperstrafen entschieden, weil ich das einfach nicht übers Herz bring. Schüler schlagen das geht für mich nicht. Jetzt ist es halt immer ziemlich laut bei mir in der Klasse, aber dafür sind Magdalena und ich auch schnell zu den Lieblingslehrern der Schüler geworden. Wenn Ihr, liebe Leser, konstruktive Vorschläge habt wie ich ohne zu schlagen 35 energiegeladene Schüler disziplinieren kann, dann schreibt mir bitte einen Kommentar!

Schule im Kongo kann aber auch ganz anders sein. Wir haben nämlich gemeinsam mit der Schulsekretärin eine Schule für Gehörlose und Blinde besucht. Dort werden rund 50 Kinder von 6 Lehrern in Zeichensprache beziehungsweise Brailleschrift unterrichtet. Die Schule selbst wird privat geführt und ist für die Schüler kostenlos und daher immer auf Spenden angewiesen. In der Republik Kongo gibt es nur sehr wenig staatliche Schulen für beeinträchtigte Kinder und laut Schulleiter wurden sogar alle Lehrerausbildungszentren mit Schwerpunkt auf  Blinde und Gehörlose geschlossen. Daher kommen die meisten Lehrer der Schule aus dem Nachbarland, der Demokratischen Republik Kongo. Wir haben mit dem Schulleiter ausgemacht, dass wir regelmäßig mit den Schülern basteln oder spielen werden. Die Kinder freuen sich wenn man etwas mit ihnen unternimmt – egal ob man Zeichensprachen spricht oder nicht.

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Wer schön sein will muss leiden...

Dieses Sprichwort trifft leider auch auf die Schönheitsideale im Kongo zu. Ich habe nämlich beschlossen meinen Traum von kongolesischen Flechten zu verwirklichen und musste feststellen, dass das eine ziemlich aufwendige Prozedur ist. Schon kurz nach meiner Ankunft ist mir aufgefallen, dass die meisten Frauen hier aufwendige Flechtfrisuren tragen; nur die wenigsten modebewussten Kongolesinnen tragen die Haare offen. Gemeinsam mit einer Freundin habe ich also einen Friseurtermin ausgemacht. In einem durchschnittlichen Friseurladen hier in Pointe-Noire findet man Plakate mit Frisuren, sehr viel Kunsthaar, eventuell einen Spiegel und viele Polster und Matten am Boden auf denen man zum Flechten platznimmt.  Waschbecken oder Rasiergeräte fehlen hier meistens denn die Hauptaufgabe der  Frisöre ist nicht das Haareschneiden oder –färben sondern das Flechten.

 

Meine Frisörin schaut sich also meine Haare an und meint, dass zwei Packungen Kunsthaar reichen. Sie gesteht mir, dass ich die erste Europäerin bin, deren Haare sie flechtet und legt gleich los. Ich war vorbereitet auf eine lange Flecht-Session aber irgendwie habe ich die Arbeit unterschätzt: 94 Flechten und viereinhalb Stunden später bin ich fertig!! Dabei war es eigentlich ein sehr gemütlicher Nachmittag: Es wurde getratscht und gegessen (die Nachbarin hat uns mit selbstgemachten Crêpes und Getränken versorgt) während ich von bis zu drei Flechterinnen gestylt wurde. Am Anfang wusste ich zwar noch nicht, wie ich mit gefühlten 5 Kilo Haaren am Kopf schlafen sollte aber das Ziehen und Jucken wird nach der ersten Woche besser. Ja Ihr habt richtig gelesen, die Frisuren bleiben hier oft wochenlang im Haar und mit den Frisuren können sich die Frauen oft bis zu fünf Wochen lang nicht ihre Haare waschen. Doch die Kongolesinnen sind erfinderisch. Um gegen den Juckreiz anzukämpfen stecken viele Frauen Zahnstocher-ähnliche Stöckchen in ihre zentimeterdicken Frisuren um sich kratzen zu können.

 

Vor allem im Stadtzentrum begegnet man öfters einer Europäerin, aber eine „Weiße“ mit einer afrikanischen Flechtfrisur ist eine Seltenheit. Man wird auf der Straße angesprochen und wegen der Haare scherzhaft als „Ndombe“ also „Schwarze“ begrüßt. Allgemein wird hier immer sehr herzlich gegrüßt. Unter Männern schüttelt man sich die Hände und alte Freunde berühren sich zusätzlich mit der Stirn jeweils einmal  links, rechts und in der Mitte. Bei den Frauen ist es ähnlich wie in Österreich, man schüttelt sich die Hände und/oder küsst sich kurz links und rechts auf der Wange. Obligatorisch ist auf jeden Fall ein „Mbote!“ oder „ça va?!“ mit einem freundlichen Lächeln - egal wie gut man die Leute kennt.

 

Die Zeit vergeht hier in Pointe-Noire wie im Flug und wir nähern uns mit großen Schritten dem Schulanfang. Letzte Woche haben bereits die Lehrerkonferenzen begonnen. Wir sitzen gemütlich beisammen und überdenken die Leitgedanken der Schule. Dem Direktor der Grundschule ist es ein besonders Anliegen katholisches Gedankengut zu vermitteln, der Direktor der Berufsschule legt hingegen mehr Wert auf die Freude am Lernen. Im Rahmen der Konferenz gab es für alle Lehrer auch noch ein Pädagogik- und Didaktikseminar wo wir unter anderem lernten wie man Multiple-Choice-Aufgaben und andere „moderne“ Testformate im Unterricht einsetzt. Beendet wurden die Konferenzen mit einer leckeren, selbstzubereiteten Mahlzeit. Obwohl die Schule offiziell schon begonnen hat, haben wir Volontäre immer noch keinen passenden Stundenplan. Aber wir wissen, dass wir in sieben Klassen Englisch und in drei Klassen Deutsch unterrichten. Im Laufe des ersten Trimesters wird sich dieses anfängliche Chaos noch etwas einpendeln.

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Kongolesische Hochzeit

Jeden Samstag ist hier Hochzeitstag. In unserer Pfarre werden samstags bis zu drei Paare verheiratet und auch in vielen Häusern finden sogenannte traditionelle beziehungsweise nicht-kirchliche Hochzeiten statt. Letzten Samstag waren Magdalena und ich bei einer traditionellen Hochzeit eingeladen und hatten dort gleich die Gelegenheit mehr über Heiraten und Familie im Kongo herauszufinden. Unter „Familie“ verstehen die Kongolesen nicht nur die Kernfamilie bestehend aus Vater, Mutter und Kind sondern alle Cousins, Cousinen, Onkeln, Tanten, Großeltern sowie Stief- und angeheiratete Familie. Man darf sich auch nicht wundern wenn kongolesische Freunde auf die Frage nach ihren Geschwistern an die 20 Schwestern und Brüder aufzählen! Zum Teil sind die Eltern geschieden und wiederverheiratet, ein Elternteil ist gestorben und das andere hat einen neuen Partner gefunden, beziehungsweise manche Männer haben einfach mehrere Frauen. So kommt eine beachtliche Anzahl Kinder pro Haushalt zusammen, vor allem weil sich oft die ganze Großfamilie ein Haus teilt. Da es hier einen Frauenüberschuss gibt, ist Polygamie legal und gerade bei den Familienoberhäuptern verbreitet. Die Brautsteuer, also das Geld, das der Bräutigam der Familie der Braut zahlen muss, ist hier sehr hoch und darum heiraten viele Paare erst sehr spät, mit 40 oder 50 Jahren, um eine rasche Scheidung zu vermeiden. Es ist auch üblich, dass die Braut vor der Hochzeit mehrere Kinder zur Welt bringt um zu zeigen, dass sie fruchtbar ist.

In unseren traditionellen Kleidern fuhren wir also letzten Samstag zur Hochzeit von der Schwester eines Freundes und erregten als Weiße natürlich viel Aufmerksamkeit. Die Feier selbst beginnt am Nachmittag gegen vier Uhr. Während ein guter Bekannter der Familie in schnellem Munukutuba die Feier moderiert, plaudern die Gäste leise miteinander und diskutieren wer von den Damen das schönste Kleid hat. Später geben alle Gäste ihre Geschenke beim Brautpaar ab und die beiden werden von der tanzenden Menge in die Luft gehoben. Bei Anbruch der Dunkelheit wird jeder mit reichlich Essen versorgt und wir setzen uns gemütlich in Grüppchen zusammen zum Plaudern. Die Hochzeit endete jedoch schon ziemlich früh (gegen acht Uhr abends) da die Familie (inklusive Braut) beim Abwaschen des Geschirrs hilft.

Apropos Abwaschen, ich werde oft gefragt wie es hier in Pointe-Noire mit den sanitären Verhältnissen aussieht: In der Pfarre gibt es zwei Waschmaschinen und in jedem Gästezimmer Dusche, WC, Strom und Warmwasser. Das Geschirr wird mit der Hand abgespült: dafür ist die Köchin der Salesianer verantwortlich. Vor jedem Fenster in unserem Volontärshaus hängt ein Moskitonetz und somit sind die Tiere, die uns in der Nacht am meisten nerven, nicht die Moskitos sondern die Hähne, die ab vier Uhr morgens anfangen uns aufzuwecken. Den Luxus von Warmwasser genießen wir in unserem Volontärshaus leider nicht aber an die tägliche kalte Dusche gewöhnt man sich sehr schnell. Etwas länger brauchten wir um uns an die hiesige Müllentsorgung zu gewöhnen. Grundsätzlich landet der Müll sehr schnell auf der Straße und wird dort an Ort und Stelle verbrennt. Getrennt wird hier gar nichts von Recycling ganz zu schweigen. Zur Entsorgung vom Hausmüll kommt regelmäßig die Müllabfuhr, das heißt ein Mann mit einem großen, handgeschobenen Wagen vorbei. Erst ein paar Tage nachdem wir das erste Mal diese Entsorgungsmöglichkeit genutzt hatten, erfuhren wir zufällig von Freunden, dass es üblich ist, dem Müllmann Geld zur Entsorgung zu geben! Wir waren einfach so fixiert auf unser österreichisches System von Müllabfuhrsteuer, dass wir gar nicht daran gedacht hatten!

Meine Mitvolontärin Magdalena hat unser Volontärshaus in ihrem Blog genauer beschrieben... auf jeden Fall lesenswert!


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Die Zeit vergeht...

Do. 27. 08. 2015, 11:15 Uhr:

Voll bepackt mit Spielen machen wir uns auf den Weg ins Straßenkindertagesheim, ca. 5 Gehminuten entfernt von der Pfarre. Die Kinder bekommen dort eine warme Mahlzeit am Tag, Privatunterricht von einem Pater damit sie so schnell wie möglich in die Schule integriert werden können und natürlich viel Aufmerksamkeit von uns Volontären. Wir haben stundenlang Tischfußball gespielt und schlussendlich eine Sandburg gebaut. Doch am liebsten posieren die Jungs vor der Kamera oder machen selbst Fotos. In solchen Momenten bin ich froh, dass ich mir extra eine stoß- und sandfeste Kamera gekauft habe ;)

Mi. 02. 09. 2015, 9:45 Uhr:

Gleich nach dem Frühstück nehmen wir gemeinsam mit Madame Josephine und einem riesigen Vorrat Spaghetti ein Taxi ins Gefängnis. Unsere Pfarre ist dort nämlich für die Seelsorge zuständig - und das Frühstück. Diese ehrenamtliche Aufgabe übernimmt schon seit Jahren Madame Josephine, die deshalb in der Pfarre „die Barmherzige“ genannt wird. Also machen wir uns an die Arbeit und fangen an über offenem  Feuer in riesigen Töpfen für mehr als 200 Häftlinge Spaghetti zu kochen. Später begleiten wir Josephine bei der Essensausgabe und plaudern ein wenig mit den Häftlingen, die sich über Madame Josephine und ihren außerordentlichen Besuch freuen.

Do. 03. 09. 2015, 14:20 Uhr:

Die Köchin der Salesianer, Madame Scarlene, begleitet uns zu einer der vielen Schneidereien hier im Viertel. Die beste aber nicht die schnellste Schneiderin, um Scarlene zu zitieren, denn als wir dort ankommen müssen die letzten Stiche noch gemacht werden. Ein paar Tage zuvor haben wir uns bunte Stoffe ausgesucht und sie zur besagten Schneiderin gebracht damit wir auch endlich ein traditionelles Kleid, einen sogenannten Pagne, haben. Das Resultat ist ein farbenprächtiges, aus drei Teilen bestehendes Kostüm, das hier viele Frauen in der Kirche tragen.

Die letzten paar Tage verbringen meine Mitvolontärin Magdalena und ich allerdings damit unser zukünftiges Häuschen  zu putzen und einzurichten. Wir schlafen zurzeit in einem der Gästezimmer in der Pfarre aber in einer Woche werden wir dann in unser eigenes Haus ziehen, welches man zu Fuß in 5 Minuten erreicht. Wenn ich sage „putzen“ dann meine ich nicht kurz staubsaugen (hab ich hier übrigens noch nicht gesehen) sondern die millimeterdicke Sandschicht entfernen, die sich hier im Laufe der Zeit angesammelt hat. Die Straße vor unserem Haus gleicht nämlich eher einer Sandkiste als einem Asphaltweg und dementsprechend haben wir viel  zu tun.

Mit unserem schönen, rosaroten Häuschen haben wir einen echten Glücksgriff gemacht. Es verfügt im Gegensatz zu vielen anderen Häusern unserer Straße über Fließwasser (wenn auch kalt) und über einen ersten Stock, in dem jeder von uns sein eigenes Zimmer hat - auch keine Selbstverständlichkeit in unserem Viertel. Hier können wir Hausübungen kontrollieren, in unserer kleinen Küche den einen oder anderen Apfelstrudel backen und natürlich Freunde treffen. Bei einem dieser Treffen wurden wir zum Beispiel gefragt warum wir nicht mehr Schokolade aus Österreich mitgenommen hatten. In den Geschäften hier wird nämlich hauptsächlich überteuerte, aus Europa importierte Schokolade angeboten. Komisch, aber ich bin irgendwie immer davon ausgegangen, dass es hier Unmengen an Schokolade und Kaffee gibt, doch der einzige Kaffee den ich bisher gesehen habe war Löskaffee von Nestle aus der Dose. Viele solcher kleinen und großen Überraschungen warten täglich auf mich, die mein Leben hier erst so richtig spannend machen.


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Eine Mundele in Pointe-Noire

 Jetzt bin ich schon seit einer Woche in Pointe-Noire und ihr, liebe Leser, fragt euch sicher schon wie es mir geht und was ich hier alles erlebe. Das Schuljahr beginnt erst im Oktober also bleibt noch genug Zeit um sich einzuleben und die Stadt zu erkunden. Da ein ausführlicher Bericht alle Rahmen sprengen würde, versuche ich hier einige Impressionen aus meinem bisherigen Volontärsleben wiederzugeben.

 

Di. 18. 08. 2015, 20:15 Uhr:

Meine Mitvolontärin Magdalena und ich sitzen gemeinsam mit 7 Salesianerpatres am großen, runden Tisch in der Pfarre. Wir werden  zur Begrüßung von jedem Pater herzlich umarmt und es wird viel geplaudert und gelacht. Allerdings bekomme ich am Anfang eine fachkundige Übersetzung von unserer Vorgängerin Mirijam, damit ich dem Tischgespräch folgen kann. Auf dem Tisch befindet sich eine drehbare Platte mit Pfannen voll Fisch, Huhn, Reis oder Bohnen aber auch exotische Gerichte wie Maniok, Fufu oder Saka-Saka. Père Virgil, der Leiter des Projekts, berät mich was ich alles kosten soll und welche Gerichte sich am besten kombinieren lassen.  

 

Mi. 19.08. 2015, 6:45 Uhr:

Ich stehe heute früh auf um in die Morgenmesse auf Munukutuba (die örtliche Sprache) zu gehen, weil dort die neuen Volontäre vorgestellt werden. Ich verstehe (noch) kein Wort Munukutuba und deshalb beschränkt sich meine Teilnahme an der Messe auf das Mitklatschen zu den Liedern, die vom Kirchenchor gesungen werden. Bei den Liedern bleibt nämlich niemand am Platz sitzen, viele bewegen sich rhythmisch zum Lied und klatschen dabei enthusiastisch mit. Plötzlich schreckt mich ein lautes Zwitschern und ich schaue zum Dach: Dort oben fliegen mehrere Vögel durch die fensterartigen Löcher in der Kirchenwand  ein und aus. Dabei singen sie von niemandem beachtet ihre Variation auf die Kirchenlieder.

 

Do. 20.08.2015, 9:30 Uhr:

Mirijam nimmt Magdalena und mich mit auf den Markt um für ihr Abschlussessen einzukaufen. Man kann dort auf engstem Raum alles kaufen – von Elektrozubehör bis zu frischem Obst und Gemüse. Immer wieder bleiben wir stehen um das ein oder andere, mir gänzlich unbekannte Produkt zu kaufen. Wir kaufen eine kongolesische Variante von Erdnussbutter, die die Verkäuferin so geschickt in Palmenblätter einwickelt, dass nichts mehr von der Creme nach draußen dringen kann. Überall wo wir hinkommen hören wir den Ruf „Mundele“ was auf Munukutuba „die Weiße“ bedeutet. Ich werde also überflutet mit Geräuschen sowie Gerüchen und möchte am liebsten meine Augen nicht mehr schließen, weil es so viel zu erleben gibt.

 

Fr. 20.08.2015, 10:00 Uhr:

Wir fahren zu sechst mit dem Bus 20 Minuten ins Zentrum der Stadt und frühstücken in einem Starbucks-ähnlichen Lokal in der Innenstadt. Von Cappuccino bis Vanillecroissant bekommt man dort alles was ein europäischer Magen begehrt. Danach machen wir uns wieder auf die Suche nach einem Bus zurück zur Pfarre. Der gesamte Verkehr besteht fast ausschließlich aus Taxis und eine Art von VW-Bussen, die als öffentliche Verkehrsmittel dienen. Neben dem Lenker befindet sich im Bus meistens noch eine zweite Person, die das Geld kassiert. Doch die wahre Aufgabe dieser Person begreife ich erst jetzt: Als nämlich ein voller Bus vor uns stehen bleibt schafft er es irgendwie uns sechs hineinzuschlichten, sodass schlussendlich insgesamt 22 Personen in dem VW-Bus hocken!

 

Mo. 24.08.2015, 23:30 Uhr:

Die Sonne ist bereits vor fünf Stunden untergegangen und Mücken schwirren um die Lampen aber eine Gruppe von ca. 70  Jugendlichen sitzt beharrlich draußen und feiert ausgiebig. Warum? Vor 200 Jahren wurde in Italien der Ordensgründer der Salesianer, Giovanni Don Bosco, geboren und darum haben sich hier in Pointe-Noire Jugendliche aus allen Don-Bosco-Pfarren des Landes versammelt. Am Vortag wurde das Treffen mit einer feierlichen Messe vom Bischof eröffnet und den Nachmittag verbrachten wir spielend am Strand.

Am Abend selbst wird zunächst gegessen, daraufhin folgen Quizshows und kurze Theaterstücke rund um Don Bosco. Zwischendurch packt Pater Jerry seine Gitarre hervor und wir stimmen laut und mit Begeisterung Kirchenlieder an. Um Mitternacht gehen plötzlich alle Lichter aus und wir halten eine stimmungsvolle Andacht im  Kerzenschein mit dem Bild von Don Bosco im Zentrum. Danach schneidet eine Don-Bosco-Schwester die Torte an und die Sektkorken fliegen in die Luft. Die Stereoanlage wird voll aufgedreht und wir tanzen und feiern bis tief in die Nacht!

 

Ich hoffe ich kann euch beim nächsten Eintrag einen geordneteren Überblick über mein Leben hier geben, denn es wird noch eine Weile dauern bis ich in der Routine angekommen bin!

Wer in Pointe-Noire längere Distanzen überwinden will nimmt das Taxi oder den Bus (mit bis zu 20 Mitreisenden;)
Wer in Pointe-Noire längere Distanzen überwinden will nimmt das Taxi oder den Bus (mit bis zu 20 Mitreisenden;)
Maniok, eine Zuspeise die kalt gegessen wird und im entferntesten wie Erdäpfelknödel schmeckt
Maniok, eine Zuspeise die kalt gegessen wird und im entferntesten wie Erdäpfelknödel schmeckt
Gemeinsam am Strand, die sogenannte "Wilde Küste"
Gemeinsam am Strand, die sogenannte "Wilde Küste"
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Bald geht´s los!

Am 17. August 2015 breche ich mit meiner Mitvolontärin Magdalena aus Oberösterreich nach Pointe-Noire in die Republik Kongo auf. Ich habe von meinen Vorgängervolontärinnen schon viel über das Salesianerprojekt gehört und warte nun schon sehr gespannt auf meinen Abflug!

Das Abenteuer hat aber eigentlich schon lange begonnen, nämlich mit den Vorbereitungswochenenden in Wien. Meine Organisation „Volontariat bewegt“, die von Jugend eine Welt und den Salesianern Don Boscos unterstützt wird, hat mich und 18 andere motivierte Volontäre auf unsere Einsätze in Afrika, Indien und Lateinamerika vorbereitet. In den Kursen haben wir viel über Entwicklungszusammenarbeit, Nachhaltigkeit aber auch über die Pädagogik Don Boscos erfahren, um nur einige Punkte zu nennen. Und wir hatten natürlich auch jede Menge Spaß dabei. Über die Salesianer in Amstetten bin ich auf „Volontariat bewegt“ aufmerksam geworden und habe mir nach längerem Überlegen mein Einsatzland auch selbst ausgesucht.

Mein nächster Bericht kommt hoffentlich schon aus Pointe-Noire, doch bis dahin gibt es noch viel Organisatorisches zu erledigen und noch viele Abschiede zu überstehen!

Hier könnt ihr noch ein Bild von meiner Sendungsfeier mit den anderen Volontären sehen.

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Kulinarik

Kulinarik

 

Diesen Blogeintrag widme ich ganz der kulinarischen Vielfalt des Kongos. Wie ihr euch, liebe Leser, sicher vorstellen könnt, unterscheiden sich sowohl Zutaten als auch Zubereitungsart erheblich von der mir vertrauten böhmisch-österreichischen Küche.

 

Irgendwie scheint sich das gesellschaftlich-kulturelle Leben des Kongos in der Nahrung widerzuspiegeln. Der Kongo, insbesondere Pointe-Noire ist ein Schmelztegel verschiedener Ethnien, Bevölkerungsgruppen und Einwanderer-ströme. Viele Kriegs-sowie Wirtschaftsflüchtlinge aus zum Teil noch ärmeren afrikanischen Ländern fanden aufgrund einer progressiven Einwanderungspolitik ihren Weg in den Kongo und haben natürlich ihre Lieblingsspeisen mitgebracht. Da gerade Pointe-Noire eine Hochburg der westlichen Ölscheichs ist, haben auch Hamburger, Pommes Frites und Sandwiches Einzug in den kongolesischen Speiseplan gehalten. So sieht man einen Kebap-Stand, der harmonisch von einem Senegalesen und einem Fastfood Restaurant flankiert wird. Einen McDonalds sucht man hier jedoch vergeblich. Ja ihr habt richtig gelesen: es gibt hier (wider erwarten) Kebap. Allerdings muss man sagen, dass kongolesischer Kebap (hier nach arabischer Tradition auch „Schawarma“ genannt) bis auf den Namen nichts mit seinem österreichischen Vertreter gemein hat. Das bei uns typische Kebapbrot wird durch eine Flade ersetzt und innen fand ich zu meinem Erstaunen neben Salat und Fleisch auch Pommes!

 

 

 

Von Franzosen und Kongolesen

 

So entstehen wie erwähnt ziemlich paradoxe Mischungen aus Lokalen. Innerhalb weniger Meter wechselt das Klientel von reicher Französin  mit Gucci-Sonnenbrille bis zu Straßenkehrer, der immer noch einen Fetzten vor dem Mund hat um den Gestank zu ertragen. Die eine, sitzend in ihrem glänzenden Allrad-Pick-Up, wird von ihrem Chauffeur direkt vor die spiegelnden Schwingtüren des 24/7 Lokals „the food factory“ kutschiert. Sie wirft ihre perfekt gestylten Locken in den Nacken, tritt in den auf ungute 20° gekühlten Raum und sieht sich zunächst einmal um. Das Lokal erstreckt sich länglich in die Tiefe und wird dominiert von einer langen Glastheke an der linken Seite. An der rechten Seite ist ein langer Tisch aus perfekt geschliffenem Ahornholz angebracht mit Barhocker aus Holz und Metall, die jedoch alle leer sind. Darüber hängt ein Spiegel, der der Bar einen noch größeren Eindruck verleiht. Die restliche Mauerfläche ist mit großformatigen Farbfotografien nach moderner Kunst verziert: Eine stilisierte Tomate auf weißem Hintergrund einmal abgelichtet von Oben und einmal von der Seite. Hinter der Theke stehen auf Designerregalen Designergläser und darüber kann man auf großen, von hinten beleuchteten Schrifttafeln das Speiseangebot entnehmen. Das Serviceprinzip des Restaurants entspricht dem eines „subway“-Lokals. Man wählt selbst die Zutaten für sein Sandwich, Crêpe, Burger, Brötchen oder was auch immer. Die vier einheitlich schwarz mit Firmenlogo gekleideten Angestellten bereiten daraufhin frisch das von der Französin bestellte Panini mit Schrimps und Blattsalat zu. Diese wiederum zuckt ihre Ledergeldbörse, entnimmt 4500 kongolesische Franc und reicht sie mit einem kühlen Lächeln der Bedienung. Mit einer lässigen Handbewegung verneint sie die Rechnung und verschwindet einigermaßen gestresst aus dem Lokal.

 

Hundert Meter weiter bindet der nach getaner Arbeit hungrige Straßenkehrer seinen bereits entleerten Handkarren an einem Pfosten fest und schlängelt sich zwischen zwei betonierten Mauern in einen kleinen Hinterhof. Zunächst nimmt er seinen Mundschutz ab und geht zu dem Plastikeimer, der auf einem kleinen Schemel in der Ecke steht. Am unteren Ende des Kübels ist ein kleiner Hahn angebracht, der einen dünnen Wasserstrahl zum Händewaschen gibt. Müde lässt er sich auf einem selbstgezimmerten Stuhl aus Sperrholz nieder, der neben einem dazu passenden Tischlein steht. Darauf hat der Besitzer eine Plastiktischdecke geklammert, die es der Bedienung erleichtert den Tisch abzuwischen. Im ganzen Hof stehen zirka 15 solcher Tische und fast alle sind besetzt. Während unser Herr auf die Bedienung wartet gibt es andere Gäste, die direkt zur überdachten Theke gehen und zum Mitnehmen bestellen. Hinter der Theke -ebenfalls aus Sperrholz und selbstgezimmert- stehen zwei fröhlich wirkende ältere Damen mit Kopftuch, die aus riesigen Töpfen Reis, Bohnen in Tomatensauce, gegrillten Fisch oder Gerichte, dessen Namen auf Deutsch nicht existieren, schöpfen. Gekocht wird in einer anderen Ecke des Hofes. Dort stehen abermals unter einem kleinen Dach vier Töpfe von 750cm Durchmesser jeweils auf einem Lagerfeuer. Eine Frau schiebt mit ihren bloßen Händen alle zehn Minuten die Holzscheiter weiter in die Mitte um eine gleichmäßige Hitze zu erhalten. Dazwischen rührt sie mit großen hölzernen Kochlöffeln in den dampfenden Kesseln. Eine andere Frau steht daneben vor einem selbstgemachten Grill. Eine halbe Metalltonne wurde von einem Schweißer mit Standbeinen versehen und darauf ein Rost gelegt. Die Tonne selbst ist mit Holzkohle gefüllt allerdings von so schlechter Qualität, dass sie anstatt zu glühen die meiste Zeit Flammen von sich gibt. Der Mann muss nicht aufstehen um auf die mit Kreide beschriftete Speisetafel neben der Theke zu schauen, er weiß schon was er will. Er bestellt einen „Ngok“ und „Reis Chap“. Die Bierflasche stellt ihm die Bedienung kurz darauf auf den Tisch, löst den Bierdeckel, aber lässt ihn auf der geöffneten Flasche liegen. Nach jedem Zug, den unser Mann nimmt, verschließt er sorgfältig die Flasche mit dem Bierdeckel damit sich keine Insekten in der Flasche verirren. Da stellt ihm die Bedienung einen gut gefüllten Teller mit Reis, gekochter Maniokwurzel, fertig zubereitetem Maniok und gebratenem Meeresfisch in Tomatensoße auf den Tisch. Das Besteck lässt er unangetastet liegen, denn er isst mit den Händen, aber er greift zur Schale mit „Piment“, einer Art selbst zubereitetem Sambal bestehend aus zerkleinertem, sehr scharfen Pfefferoni der mit Öl in einer Pfanne gebraten wurde. Zum Bezahlen geht er an die Theke. Die Preise der Gerichte stehen auf der Kreidetafel und die der Getränke weiß eh jeder auswendig, die muss man nicht auch noch wo aufschreiben. Er zahlt die 2500 CFA und verlässt das Lokal - ebenfalls ohne Rechnung - aber nicht ohne vorher nochmals die Hände abzuspülen.

 

Diesen krassen Gegensatz, diesen Zusammenstoß - oder besser gesagt – dieses Aneinander-vorbei-Leben zweier Parallelwelten finde ich so spannend und anziehend. Ein Zusammenstoß der beiden Welten findet ja nicht statt, denn genauso wenig, wie die Französin aus meinem (vielleicht etwas überspitztem) Beispiel jemals das senegalesische Restaurant betreten wird, wird der Straßenkehrer auch niemals in den Burgerladen Essen gehen.

 

 

 

Die Kartoffel

 

Die Kartoffel wird jedoch immer noch sehr stiefmütterlich behandelt. Der Vorschlag, für unsere Freunde wieder einmal österreichisch zu kochen, wird meistens dankbar angenommen und mit entsprechend großem Appetit erscheinen die Gäste. Wird dann aber eine Schale Petersil-Kartoffel oder Erdäpfelgulasch aufgetischt, blicken wir in lange Gesichter. Langsam haben wir uns daran gewöhnt, dass die meisten Kongolesen rund um die Kartoffel herum essen. Umso besser für Magda und mich denn als Österreicher sind wir ja „besessene Kartoffelesser“. Davon sind zumindest die Salesianerpatres überzeugt. Über diesen Sachverhalt macht sich der italienische Pater Valentino am meisten lustig. Immer wenn das Wort „Österreich“ im Zusammenhang mit „Küche“ fällt, packt er sein beschränktes Deutschvokabular aus, kräht „Karrtofffel, Karrrtofffel“ und freut sich dabei selbst am meisten. Ich glaube den Kongolesen fehlt es an Zubereitungskreativität bei der Kartoffel. Ich hab sie hier bisher nur in Form von Pommes, geviertelt und gekocht in einer „Suppe“ oder mit viel Majonäse als Salat gegessen. Wirklich schade denn von Bratkartoffeln, Püree, oder Kartoffelsalat bleibt mir nichts anderes übrig als zu träumen.

 

 

 

Beim Häuten der Ziege

 

Als ich zum ersten Mal eine kleine süße Ziege im Pfarrgarten an einem der Avocado-Bäume gebunden sah, war ich erst zwei Wochen lang in Pointe-Noire und noch sehr naiv. Ich habe sie gestreichelt und mich über das neue Haustier gewundert und als sie zwei Tage später verschwunden war, habe ich nicht einmal überrissen was geschehen war. So viele neue Eindrücke galt es zu verarbeiten, dass das Verschwinden einer Ziege keine inneren Fragen aufgeworfen hat.

 

Erst viel später habe ich herausgefunden, dass unsere Pfarrer die Gewohnheit haben, zu bestimmten Festen eine Ziege zu schlachten und diese anschließend genüsslich zu verspeisen. Lebendige Ziegen kann man hier ziemlich leicht kaufen, vor allem wenn man etwas außerhalb Pointe-Noire fährt zum Beispiel in die Dependance unserer Pfarre Côte Matève. Das Tier – egal ob Männchen oder Weibchen, ich hab hier schon beides geschlachtet – wird nicht sehr tierfreundlich an den Füßen zusammengebunden und so im Pfarrhof deponiert. Wenn es Glück hat kommt ein barmherziger Samariter vorbei, der die Füße losbindet, einen neuen Knoten um den Hals legt, es an besagtem Avocado-Baum festbindet und ihm eventuell noch eine Schüssel Wasser hinstellt. Bei meiner guten Tat musste ich allerdings feststellen wie viel Kraft in einem sich zu Tode fürchtendem Zicklein steckt. Zunächst reißt es einem fast zu Boden in dem Versuch so schnell wie möglich den äußersten Radius des Seiles zu erreichen um dann zitternd und mit den vom Verschnüren wackeligen Beinen stehen zu bleiben. Dann schaut es mit großen Kulleraugen seinen Henker an - ein herzzerreißender Anblick.

 

Die beiden Urteilsvollstrecker sehen in dem süßen, gehörnten Wesen auf vier Hufen wohl nichts anderes als ihr Mittagessen und gehen die Sache weniger emotional an. Der Messerführer und damit Hauptrichter ist von Beruf eigentlich Tischler, aber dürfte eine ordentliche Ausbildung à la congolaise erhalten haben. Das heißt nach ein paar Monaten „Dorf“ weiß der Kongolese alles, was er so im Alltag braucht. Neben Kochen und eben dem Schlachten von Ziegen kann man im Busch von Kräuterheilkunde und Jagd über Körbe flechten und Fischerboote schnitzen bis hin zu Geisteraustreibungen und Hexerei alles lernen. Wenn ich mich recht erinnere hat er sich mir als Medizinmann (oder war's nur ein Scherz?) vorgestellt. Er wird stets begleitet von seinem Gehilfen und Kumpel der wie er Ende Vierzig zu sein scheint.  Während der Meister sich von der Köchin Scarlenne einen ihrer vielen Arbeitspagnes (wisst ihr noch? die Stoffe, die man u.a. als Wickelrock verwendet…) als Schürze umbindet, gräbt der Gehilfe unter dem Vordach im Hof ein tiefes Loch in die Erde. Nun kommt die Ziege ins Spiel. Als ob sie den bevorstehenden Tod erahnt, wirft sie sich mit aller Kraft dagegen während ein enges Seil um die Hinterbeine geknotet wird. Unterdessen halte ich die Vorderpfoten und den Kopf damit die Wildgewordene ihre Henker nichts anhaben kann. Direkt über dem Loch an einem Holzbalken wird nun die Ziege kopfüber hinaufgezogen und auf Augenhöhe gut festgebunden. Ziemlich jämmerlich hängt nun das Tier mit den Hinterbeinen am Balken befestigt und meckert verzweifelt. Ich halte immer noch die Vorderpfoten um ein Drehen zu verhindern und hoffe auf ein schnelles Ende. Und tatsächlich, der Schlachter greift zu einem beilartigen Messer und holt aus. Das mit dem kurzen, schnellen Tod kommt allerdings nicht in seinem Plan vor. Während der Gehilfe die Hörner hält, schlägt er zu und durchschneidet nur die Kehle und die Luftröhre. Unter lautem Meckern überstreckt der Gehilfe den Kopf des Opfers damit das Blut in das vorbereitete Loch strömen kann. Plötzlich springt er zur Seite und lässt den Kopf los. Der Grund: die sterbende Geiß versprüht ihren Darm- und Blaseninhalt über uns drei. Die Ziege zuckt und schreit noch ein paar Minuten lang bis die Bewegungen langsamer und die Schreie immer schwächer werden. Ohne ein Wort zu sagen schauen wir drei zu wie die letzten Tropfen Blut aus der Öffnung im Hals herausströmen und die Augen starr und glasig werden. Ich habe plötzlich das Bedürfnis wie im Film die Augenlieder des Tieres zu schließen, tu es aber doch nicht. „Die lebt nicht mehr“, meldet sich der Meister nüchtern zu Wort und drückt seinem Gehilfen das Messer in die Hand um endgültig den Kopf abzutrennen. Dieser wird zur Seite gelegt, der Länge nach halbiert und dient den Schlachtern als Eintopf beziehungsweise die abgetrennten Hörner dienen als Trophäen. Der Meister und ich kümmern uns währenddessen um den restlichen Körper, der so leblos vom Balken baumelt. Gewappnet mit einem kleinen aber scharfen Messer beginnen wir kurz oberhalb des Sprunggelenkes quer das Fell einzuschneiden. Das Fell löst sich viel leichter als gedacht vom restlichen Körper. Zwischen Ziegenhaut und Muskelfleisch ist eine dünne Schicht aus weißem Fett und weißem Schaum (Proteine?) an der man nur mit dem Messer entlangfahren muss und die Haut löst sich. Viel schwieriger ist es an den Stellen an denen die besagte Schicht besonders dünn ist, wie an den Beinen oder bei Gelenken. Am Bauch angekommen, merke ich beim Schneiden, dass eine komische weiße Flüssigkeit über meine Finger rinnt.  Der Chef und ich werfen uns fragende Blicke zu bis mir einfällt, dass das die Muttermilch sein muss und irgendwo sicher ein Zicklein auf seine Geißenmutter wartet. Doch kein Mitleid – das ist hier fehl am Platz. Man darf allgemein nicht zu zimperlich sein, denn Blut und andere Körperflüssigkeiten der Ziege verteilen sich besonders gerne auf Gewand und Haut des Schlachters. Zu zweit ziehen wir also im Ganzen das Fell der Ziege ab. Nur dort, wo die Haut besonders eng an den Knochen aufliegt – also an den Beinen und im Nacken entlang der Wirbelsäule -  ist Fingerspitzengefühl gefragt. Da passiert es manchmal, dass das Fell reißt. Dies ist ohnehin nicht schlimm, weil es später mitsamt Innereien und Blut in das vorher frisch gegrabene  Loch verschwindet. Nun hängt also die enthäutete Geiß mit dem Kopf nach unten an einem Balken – ein merkwürdiger Anblick. Als nächstes wird mit einem gezielten Schlag der Brustkorb geöffnet und der Eingeweidesack kommt heraus. Wenn Gedärm, Magen, Lunge, Herz etc. einmal den Körper verlassen haben, bleibt nicht mehr viel über als ein vom Fleisch rötliches Gerippe, das den nunmehr leeren Bauch umarmt. Ganz gegen meine Erwartungen ist das eine ganz blutlose Angelegenheit. Jetzt beginnt also meine Arbeit. Während der Meister weiter an der Leiche hackt, öffne ich die Eingeweide und werfe Lunge und Nieren weg. Für mich interessant sind vor allem der Magen und der Darm. Der Inhalt von Darm und Magen kommt wie alles andere in das ausgehobene Loch im Boden. Die aufwändigste Arbeit ist das Waschen der Gedärme, die mit viel Wasser ausgeschwemmt werden und mit Daumen und Zeigefinger ausgekniffen werden. Nach ein oder zwei Waschdurchgängen schneide ich den Magen in kleine Stücke. Das ergibt kleine fetzenartige Lumpen, denn der Magen ist innen wie ein Fell behaart. Diese rolle ich palatschinkenartig zusammen und umwickle sie mit dem Dünndarm. Mittlerweile ist auch der Meister fast fertig und lässt mich zur Erheiterung aller Beteiligten den Fuß der hängenden Ziege mit der Manschette abhacken. Dieses Unterfangen ist gar nicht so leicht, weil man zugleich das Tier halten muss, damit man genug Spannung aufbaut und andererseits kräftig zuhauen sollte. Nach einigen Versuchen muss ich aufgeben, während der Profi mit einem gezielten, kräftigen Schlag das Bein abtrennt. Damit hat der Meister und sein Gehilfe seine Arbeit beendet. Beide nehmen als Entlohnung einige gute Stücke mit nach Hause und übergeben an Scarlenne, die Köchin. Sie übernimmt die restliche Zerkleinerung und viel wichtiger: die Zubereitung. Während die Rippen und Keulen oftmals gegrillt werden, kommt der Rest mit vielen Kräutern, Gemüsen und Gewürzen in einen Kochtopf und wird zu einer Bouillon verkocht. Besonders begehrt, sowohl von Pfarrer als Volontär, sind diese Magen-Darm-Wickel, die weder fettig noch trocken schmecken. Und bei den großen Festen der Pfarre (wir feierten zum Beispiel gerade wieder mal eine ewige Profess einer Klosterschwester) leeren die Gäste immer zuerst den Topf mit dem Ziegenbouillon.

 

 

 

Hommage an das Brot

 

Eine ganz besondere Beziehung führt dieses Land mit seinem Brot. Es gibt genau eine Sorte davon: ein längliches, innen flaumiges, baguette-artiges Weißbrot, das wohl mit den französischen Kolonialisten den Weg in den Kongo gefunden hat. Ich esse jeden Tag mindestens ein Stück, dass für umgerechnet 15 Eurocent an jeder Straßenecke zu kaufen ist. Jeden Tag? Ob mir das nicht schon beim Hals raushängt? Fragt ihr mich? Nein überhaupt nicht. Das Brot schmeckt nämlich zu jeder Tageszeit anders. Morgens nach der Messe wird immer ein Schüler zur Bäckerei um die Ecke geschickt um einen Sack mit 20 Broten zu holen. Zum Frühstück gibt's also warmes, von außen leicht knuspriges von innen flaumig-weiches Baquette. Zugegeben, manchmal wünscht man sich doch ein Müsli oder eine andere Abwechslung, aber als mir erklärt wurde, dass es in Sambia anscheinend überhaupt gar kein Brot gibt, ließ ich meine Kritik bleiben. Zu Mittag verändert sich der Geschmack des Brotes schon leicht, aber ich mags am liebsten abends. Dann ist es sowohl von innen als auch von außen weich, aber es wird nicht zäh zum Beißen wie österreichisches Baguette.

 

Das Brot wird gemacht in riesigen Mengen in Bäckereien, die nur diese Sorte Brot produzieren. Man bekommt zwar auch Vollkornbrot, Croissants etc. in europäischen Vierteln des Stadtzentrums, aber zu horrenden Preisen. Die kongolesische Variante des Baguettes bekommt man allerdings zu jeder Tageszeit und noch dazu gratis nach Hause geliefert. Ab sechs Uhr in der Früh beladen fahrende Händler ihre Scheibtruhen mit Brot und fahren so durch die Gassen. Die meisten haben auch Margarine und eine Wurst mit für all jene die das Brot gleich belegt kaufen wollen. Dabei schreien sie „Chaud“ so laut und schrill,  dass man sie schon hören kann, wenn sie erst in der Nachbargasse sind. „Chaud“ ist die Abkürzung von „Pain chaud“ was „warmes Brot“ bedeutet. Leider meint es der Brothändler zu gut mit uns und spielt so gleichzeitig unseren Wecker.

 

 

 

Highlights am Straßenrand

 

Ich glaub hier im Kongo kann jeder, wann immer er es will, seinen Verkaufsstand eröffnen. Wenn man entlang den Gässchen und Straßen geht sitzt in jedem Grundstück eine Frau die ihre selbstgemachten Köstlichkeiten anbietet oder essentielle Lebensmittelprodukte weiterverkauft. Überall kann man sogenannte „Baignets“ kaufen, also in Fett heraus gebackene krapfenartige Bällchen, deren Teig meist aus Mehl, Wasser, Hefe und Bananen bzw. Joghurt zusammengemischt wird. In Fett heraus backen ist wahrscheinlich die beliebteste Zubereitungsart im Kongo, denn auf dieselbe Art kann man gebackene Kochbananen, Maniok-Wurzeln und Süßkartoffeln genießbar machen. Mein absoluter Straßenrand-Favorit ist jedoch das eisgekühlte Joghurt, das in kleinen Säckchen verkauft wird, genauso wie Ingwersaft und ein johannisbeerartiger Saft. Man beißt ein Eck des Säckchens ab und saugt den tiefgefrorenen Inhalt heraus. Joghurt ist hier nicht gleich Joghurt, da allgemein keine frischen Milchprodukte verkauft werden. Es ist eine selbstgemachte Mischung aus Milchpulver, Zucker, Wasser und gekauftem Joghurt. Überall erhältlich sind außerdem Erdnüsse gebraten, gegrillt oder karamellisiert.

 

 

 

Mittwochs um 9

 

Mittwochvormittag habe ich unterrichtsfrei also nütze ich die Gelegenheit die kongolesische Küche noch besser kennenzulernen und helfe unserer Köchin Scarlenne beim Kochen. Es gibt entweder Fisch, Huhn oder Rind in allen Zubereitungsarten, jedoch vorwiegend gebraten, gegrillt oder als Bouillon. Faschiertes kennt man hier nicht. Ab und zu steht Schweinefleisch auf dem Speiseplan, ist jedoch teuer und nicht sehr beliebt. Meine Aufgabe beginnt meistens damit 10 Zwiebeln zu schälen und schneiden, aber ohne Schneidebrett. Traditionell sitzt die Hausfrau dazu in einem geflochtenen Korbstuhl dem „Sebilamba“ was so viel heißt wie „kann kochen“. Dabei bleibt genügend Zeit mit Scarlenne zu plaudern und nebenbei wird man über den neuesten Klatsch und Tratsch in der Pfarre informiert. Das Kochen hat allerdings auch anstrengende Seiten, wie  zum Beispiel die Zubereitung von  Fou-Fou. Das Fou-Fou Mehl (geriebene getrocknete Manioc-Wurzeln) wird in kochendes Wasser gegeben und muss mit der Hand zu einer harten Masse verarbeitet werden um anschließend daraus Knödel formen zu können. Die Köche hier finden aufgrund von Werkzeugmangel ganz kreative Lösungen bestimmte Küchengeräte zu ersetzen. Ich habe hier zum Beispiel gelernt Dosen mit einem Messer zu öffnen, Flaschen mit einer Gabel zu öffnen und  Eiweiß zu schlagen mit einem Löffel.

 

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Odyssee durch Pointe-Noire

 

Jetzt ist’s bald 6 Monate her, dass sich eine junge naiv-motivierte „Mundele“ in den Flieger nach Pointe-Noire gesetzt hat.                                Hier gibt es so viel zu tun und zu erleben, dass ich leider kurzfristig meinen Blog veruntreut habe. Sollte nicht wieder vorkommen!

 

Erst nach dem Besuch der Familie meiner Mitvolontärin Magdalena (22.12.-03.01.) stellte sich heraus an wie viele (für uns schon ganz alltägliche) Gegebenheiten man sich erst gewöhnen muss. Dazu zählt zunächst das Straßenbild. Ich wage also den Versuch, schriftlich etwas zu beschreiben was man nicht einmal mit Fotos einigermaßen adäquat wiedergeben kann. Zunächst ist „Straße“ nicht gleich „Straße“. Das gut asphaltierte Stadtzentrum erweckt in jedem ahnungslosen Neuankömmling heimatliche Gefühle. Er denkt vielleicht nicht an Österreich (dazu liegt zu viel Sand auf der Straße, der die Nähe zum Meer verrät) aber das Straßenbild ist mit Südeuropa durchaus vergleichbar. Im Stadtzentrum gibt es mehrspurige asphaltierte Boulevards gesäumt von mehrstöckigen Betonbauten. Viele Gebäude haben ihre besten Tage schon hinter sich und ihren Zenit überschritten - oder diesen noch gar nicht erreicht. Sprich es sind Dauerbaustellen, die oft erst Jahre später (oder nie) beendet werden- je nach gerade vorhandenem Budget. Da reihen sich alte repräsentativ-eingerichtete Gebäude aus der Kolonialzeit (wie die Post, das Rathaus oder der Bahnhof) an geschmacklose Zweckbauten, die wiederum an ein exzentrisches Luxushotels mit olympischem Swimmingpool grenzen.  Eine Boutique steht neben der anderen und man findet alles von Markenbrillen bis zu Döner-Kebab. Gut gekleidete, fast schon übertrieben geschminkte Frauengrüppchen werden von Männern beim flanieren hinterher gepfiffen. Auf einem großen Reklameschild bezeugt eine künstlich lächelnde Familie die Bekömmlichkeit der neuseeländischen Pulvermilch. In den Geschäften hängen aufblitzende Schilder mit „open“ oder „sale“. Oft ist der ganze Laden von außen mit einem Produkt bemalt das im Inneren verkauft wird. Man macht also nicht Werbung mit dem Namen des Geschäfts, sondern mit einem renommierten und gut bekannten Produkt das dort angeboten wird. Am beliebtesten ist,so weit ich das beurteilen kann, die rot-weiße Mineralwasserflasche „Mayo“ die oft ganze Fassaden ziert. Soweit so gut.

 

Auf den zweiten Blick findet man doch einige charakteristische Merkmale, die darauf hinweisen,  in einer äquatorial-afrikanischen Wirtschaftsmetropole gelandet zu sein. Neben jedem Fenster einer reichen Innenstadtwohnung häng eine laut surrende Klimaanlage die den ganzen Tag damit beschäftigt ist ihren Eigentümern  durch arktische 10°C einen Dauerschnupfen zu besorgen. Und da wäre dann noch die Sache mit dem Sand. Egal wie gut die Straße gekehrt ist oder wie viel es geregnet hat-irgendwie ist kein Ort vor dem feinen Staub sicher. Hartnäckig klammert er sich an Gebäude, Gewand oder Gehsteig und lässt sich beim besten Willen nicht mehr entfernen. Bei Hinzufügung  von Wasser (sei es Dusche oder Regen) werden die Körner nicht weggespült, sondern bilden einen Matsch der nach der Verdunstung noch schlimmere Spuren hinterlässt. Sand am Strand ist ja schön und gut und hat uns in der ersten Zeit viel Freude bereitet, doch als wir dann unseren persönlichen Strand im Bett und im Kleiderschrank hatten war der Spaß vorbei.

 

Wo war ich? Ach ja. Straßenbild.

 

In Strandnähe häufen sich teure Villen, eingemauert von 2 Meter hohen Stacheldrahtzäunen inklusive Videoüberwachung und Security-Mann. Hier und dort steht eine Palme (ich bin noch nicht in Lebensgefahr da die Kokosnüsse erst im Sommer reif werden) oder ein anderer Baum, den ich noch nie zuvor in Europa gesehen habe. Weiter außerhalb stehen auch ziemlich trostlose Industriegebäude, Speditionsunternehmen oder Hafengebäude. Da gibt es die Brauerei „Primus“, die ein kongolesisches Bier hier in Pointe-Noire herstellt. Am Nördlichen Ende der Stadt stehen unzählige Hafengebäude und Umschlagareale.

 

Um euch noch einen besseren Eindruck von dem hiesigen Straßenbild geben zu können, lade ich zu einer imaginären Reise vom unserem Haus zum Strand von Pointe-Noire ein. Dabei bereist man mindestens 3 verschiedene Länder in 20 Minuten. Die Odyssee beginnt rund 100 Meter neben unserem Haus. Dort gibt es eine Tankstelle an der die Busse (sprich die umgebauten chinesischen VW-Busse) stehen bleiben. Einen Busfahrplan gibt es nicht. Wir stellen uns also geduldig an den Straßenrand und warten auf den passenden Bus. Da! Im zähflüssigen Nachmittagsverkehr tuckert uns ein blau-gelb gefärbtes Gefährt entgegen. Leider der Falsche! Bei näherem Hinsehen haben wir den roten Vierer hinter der Windschutzscheibe entdeckt und wir brauchen den Einser. Doch kaum 30 Sekunden später erblicken wir den ersehnten 1er-Bus. Wir winken dem Kassierer / Menschen-in-den-Bus-Schlichter / Haltansager, der gerade mit letzterer Tätigkeit beschäftigt ist und begeistert „Grand Marché, la Ville“ ruft. Alle Plätze sind besetzt, aber irgendwie (Afrikanische Hexerei?) passen wir doch hinein und rumpeln Richtung Stadt. Das Gute am Eingequetscht sein ist, dass man beim nächsten Schlagloch nicht unbedingt eine Beule riskiert. Wenn man Glück hat werden die Straßenunebenheiten von den breiten Hüften der Busnachbarin abgedämpft und der Kopf bleibt wenigstens bis zur Rückfahrt von Beulen verschont. Allen paar Meter klopft der Menschenschlichter  gegen die Türe um dem Fahrer einen Stopp zu signalisieren. Zwei Frauen mit Einkaufstaschen steigen aus und ein Schulkind und ein alter Mann steigen ein. Man spricht nicht viel und wenn dann über uns Europäer, die sonst immer die Busse meiden und in luxuriösen Schlitten durch die Stadt rasen. In halsbrecherischen Manövern sausen wir an anderen Vehikeln vorbei und sind dabei schon gefährlich weit auf der anderen Straßenseite nur um darauf in einem weiteren Manöver ein Schlagloch auszuweichen. Man muss die Bus-Route kennen denn im Normalfall sagen weder Fahrer noch Menschenschlichter Halts an und der Bus bleibt prinzipiell dann erst stehen wenn jemand ein- oder aussteigen will. Es gibt jedoch gewisse Stellen an denen der Bus so gut wie immer stehen bleibt. Die Pflichthaltestelle unserer Fahrt ist das Krankenhaus unseres Viertels Tiè-Tiè. Es ist von einem hohen Eisengitter umgeben vor dem sich meistens eine große Menschenmenge ansammelt. Wir fahren weiter vorbei an Läden und Straßenhändler, Schülergruppen in Uniform oder Mütter mit ihren Babys am Rücken. Wir kämpfen uns in den Kreisverkehr (falls es sowas wie Vorrangregeln gibt werden diese nicht beachtet und eventuelle Schilder, die auf ein entsprechendes Gebot hinweisen könnten, wurden - laut Freunden – von Metallbegeisterten Händlern abmontiert). Schließlich nehmen wir die linke Ausfahrt – meistens zumindest, denn es gibt keine vorgeschriebenen Busrouten und wenn es mal Stau gibt (den gibt’s hier öfters) kann es sein, dass der Bus spontan eine andere Strecke nimmt um schneller anzukommen.

 

Im Normalfall erreichen wir gleich die nächste Pflichthaltestelle und somit ein neues Land auf unserer Reise: Die große Moschee. Es wirkt als ob wir auf einem arabischen Bazar gelandet sind und wir schauen uns etwas um. Der Straßenrand ist voll von kleinen Ständen, fliegenden Händlern, Passanten und auch Tieren die zum Verkauf angeboten werden. Nicht nur der Kleidungsstil der hier beheimateten Kongolesen lässt uns vermuten, dass wir das muslimische Viertel erreicht haben. In den Läden (das ganze Viertel scheint nur aus Läden zu bestehen und wird daher auch „großer Markt“ genannt) kann man egal zu welcher Tageszeit betende Muslime auf ihren Gebetsteppichen sehen. Die Mehrheit der Läden wird von Männern geführt wohingegen die Frauen, wie es scheint, bevorzugt ihre Stände am Straßenrand aufbauen. Sie sitzen allein, zu Zweit oder in Grüppchen beisammen hinter oder besser gesagt in ihrem Stand. Der Stand selbst ist ein aus Sperrholz zusammengenagelter Tisch wobei jeder Zentimeter mit Ware gefüllt ist, sei es Lebensmittel, Unterwäsche, Magazine aus dem letzten Jahrzehnt, Sim-Karten oder Selbstgebackenes. Manchmal, gerade zur Mittagszeit am Markt in unserem Viertel Tiè-Tiè, beobachteten wir Frauen, die sich mit ihren Kindern direkt zwischen die Waren legen und so praktisch am Tisch ein Mittagsschläfchen halten. Wenn man einen Blick auf den Boden wirft versteht man, wieso es sich die Verkäuferinnen lieber zwischen ihren Waren bequem machen. Jedes Paar Füße, dass auf die 20 Zentimeter Erde zwischen den Ständen tritt, macht den ohnehin schon weichen Boden noch maroder als er schon ist. Und gerade nach einem tropischen Regenschauer steht man leicht bis zu den Knöcheln im Schlamm. Wenn man so wie wir den Komfort von  Gummistiefel genießt, macht es einen Riesenspaß wie ein Kind im Matsch rumzulaufen und man ertappt sich dabei, den Kongolesen mit ihren Flip-Flops mitleidige Blicke zuzuwerfen. Nachdem ich allerdings selbst einmal versucht hatte mit Flip-Flops im knöcheltiefen Matsch einzukaufen, wandelte sich mein Gefühl für die Kongolesinnen in ehrfürchtige Bewunderung. Und ich selbst wurde bei jedem Schritt nur frustrierter.  Scarlene, die Köchin, hatte uns ja vorher gewarnt. Als zum fünften Mal meine Sandale im Schlamm stecken blieb, ich barfuß zwei Schritte zurückhumpeln musste und dabei von den drängenden Einkäufern fast um gerempelt wurde, beschloss ich meinen Versuch es den Kongolesinnen gleichzutun aufzugeben. Das demotivierende daran ist, dass Kongolesinnen scheinbar schwerelos über dem Schlamm schweben und von einem Stein sehr geschickt zum anderen springen ohne dabei wirklich dreckig zu werden. Genauso schwerelos bahnen sich auch große, weiße Stelzvögel ihren Weg durch Matsch und Pfützen. Dieses, in unserem Viertel omnipräsentes Vogelvieh scheint sich nur von Müll zu ernähren. Sie fehlen jedenfalls auf keinem der vielen großen und kleinen, bunten Häufchen am Straßenrand. Ihr Äußeres mag dem eines Kranichs oder Zwergstorchs durchaus ähneln, aber im Gegensatz zu seinen majestätischen großen Brüdern wirkt der kongolesische Vertreter verschlagen und hinterhältig. Sein weißes Gefieder ist von Schlamm und Witterung verdreckt und lässt mich an niederträchtige Arbeit erinnern. Außerdem habe ich diesen Vogel noch nie beobachtet wie er sich in die Lüfte erhebt; bei Gefahr läuft er auf seinen schlaksigen Beinen laut schreiend davon.  Soweit zum Markt bei uns im Viertel.

 

 Am großen Markt hingegen sind die Gässchen größtenteils betoniert und in der Mitte läuft eine kleine Vertiefung die sowohl als Regenrinne als auch als Mistkübel verwendet wird. In dem Viertel kann man alles -  wirklich alles, von lebendiger Ziege bis Kotflügel jeder Automarke finden. Man muss sich nur auskennen. Für Ortsunkundige wie uns Volontäre ist das nicht so leicht. Als wir Gewand und traditionelle Stoffe suchten, fanden wir uns plötzlich in einer Straße wieder in der es ausschließlich Ventilatoren zu geben scheint. Bei unserem nächsten Ausflug suchten wir den Gemüsemarkt und befanden uns plötzlich in der Kleidergasse. Die kleinen Gassen, die orthogonal zu den befahrbaren Straßen verlaufen, erinnern mich unwillkürlich an den Orient, wie man ihn aus Fernsehdokumentationen kennt. Vor den Läden sitzen ältere Väter mit Bart, die oft Migranten aus Senegal oder anderen westafrikanischen Ländern sind und hier ihr Geschäft machen. Auffällig oft haben sie neben sich eine Teekanne stehen mit der sie von Zeit zu Zeit ihre Füße waschen. In diesem Gässchen-Labyrinth haben wir uns schon des Öfteren verirrt, doch an der großen Moschee kann man sich immer gut orientieren.

 

Zwischen den arabisch anmutenden Läden gibt es auch viele asiatische Geschäfte. In einer heißen überfüllten Boutique wird – „made in china“ – alles angeboten was das Herz begehrt oder zu begehren glaubt, denn oft ist es im Nachhinein gesehen unnötiger Krimskrams. In den Augen der Kongolesen gibt es auch „weiße“ Verkäufer denn Bewohner des Maghreb werden hier bereits als „weiß“ bezeichnet. Europäische Händler findet man hier am großen Markt nicht. Dazu müssen wir mit dem Bus noch ein Stückchen weiterfahren – vorbei am größten Kreisverkehr der Welt (meine Einschätzung) bis ins Stadtzentrum. Wir erreichen das bereits beschriebene „Europa“. Den ersten Stopp machen wir beim „Institut français culturel“, dem französischen Pendant zum Goethe Institut. Dort gibt es ein vielfältiges kulturelles Angebot bestehend aus Theater und Konzerten am Abend, eine gut bestückte Bibliothek und Sprachkursen. Der Jahresbeitrag ist für Schüler rund € 5,- und für jeden empfehlenswert. Wir haben mit zwei unserer Klassen den Bücherklub wiedereingeführt, um die Schüler zum Lesen zu motivieren.  Dazu gehören neben einer Lesenacht natürlich auch ein Besuch beim IFC und die Inskripierung.

 

Nächster Halt: Afrika-Markt. In einer Seitenstraße haben Händler einen klischeehaften Afrika-Markt mit Holzstatuen, Savannenbilder und bunten Afrika-Kleidern eröffnet. Ein Afrika-Tourist (mit viel Geld in seiner Tasche) kommt dort voll auf seine Kosten. Einheimische (mit Ausnahme der Verkäufer) sieht man dort allerdings so gut wie nie. Gleich um die Ecke befindet sich eine Privatklinik bei der eine Freundin von mir für eine Ohrenuntersuchung bereits umgerechnet 60€ bezahlt hat – das entspricht dem Monatslohn vieler Kongolesen. Dieses Beispiel zeigt wie schwer ein Leben für die Kongolesen in Gesundheit ohne Krankenkassa und Versicherung ist.

 

Wieder ein Stück weiter befindet sich ein Café –auf gefühlte 12°C runter gekühlt.  Wenn wir mal Europa-Heimweh habe kaufen wir dort zu horrenden Preisen einen Schoko-Vanille-Frappe, schauen uns um in die Gesichter anderer Europaflüchtlinge, haben ausnahmsweise eine gedruckte Rechnung in der Hand und fühlen uns richtig wie daheim. Das gleiche Gefühl bekommt man im „Casino“ – so heißt der europäische Supermarkt in dem man alles frisch eingeflogen aus Frankreich bekommt. Außer Semmelbrösel. Auf die mussten wir beim Backen unserer Schnitzel verzichten. Apropos Schnitzel: für 5 Stück Putenfilet haben wir umgerechnet 15€ bezahlt und meiden seither das Casino aus mehreren Gründen. Zum Preis kommt nämlich auch die unfreundliche Atmosphäre. Die Klimaanlage schafft es irgendwie mit der Raumtemperatur auch das Gemüt der Menschen zu kühlen: gehetzte Verkäufer, unfreundliche Einkäufer, schlechtes Service. Das wiederum verstärkt unser Europagefühl. 

 

Weiter geht’s zum einzigen Buchgeschäft der Stadt. Ich übertreibe nicht. Für eine Million Einwohner gibt es eine Buchhandlung. Man kann zwar auf der Straße so manches Buch und viele Magazine finden, aber bei näherem Hinsehen mussten wir leider feststellen, dass das Hollywood-Magazin aus 2012 und das Fußballheft daneben aus 2009 kam.

 

Wir nähern uns nun schon dem Strand. Uns trennen nur noch der Hauptbahnhof und das Postgebäude von dem kühlenden Nass. Gleich der lang ersehnte Blick auf das Meer und wir erreichen endlich die Tropen. Palmen, Strandclubs und Wellen häufen sich in Ufernähe und ein langer Sandstrand lädt zum flanieren ein. Halb Pointe-Noire trifft sich dort sonntags – egal ob Kongolese, Chinese oder Mundele – zum sehen und gesehen werden. Nicht jedoch zum Baden wie man eigentlich annehmen würde. Da die Mehrheit der Kongolesen nicht schwimmen kann und die Atlantikwellen sehr hoch sind, trauen sich nur vereinzelte Verrückte (ich zähle mich stolz dazu) weiter als fünf Meter ins Wasser. Als meerlose Österreicherinnen genießen wir jede Möglichkeit unsere von der Tropensonne überhitzten Körper abzukühlen und kämpfen uns mindestens einmal pro Woche durch zu den kühlenden Atlantikwellen. Die Zeit am Strand vergeht so schnell, dass wir oft noch im Wasser von der hereinbrechenden Dunkelheit überrascht werden. Da sich Pointe-Noire nur knapp unter dem Äquator befindet, dauert der kongolesische Tag ziemlich genau 12 Stunden – das ganze Jahr über. Dementsprechend schnell vergeht der Übergang von Tag zu Nacht. Sowohl auf die Morgendämmerung mit Nebelschwaden als auch auf die Blauen Stunden am Abend zwischen Sonnenuntergang und Nachteinbruch, muss ich hier verzichten. Wenn um 5:45 Uhr mein Wecker läutet ist es stockfinster und außer dem vielstimmigen Vogelchor deutet nichts auf das heranbrechende Morgengrauen hin. Eine halbe Stunde später, wenn ich mich auf dem Weg von unserem Haus zur Morgenmesse mache, ist die Stadt mit ihren Gerüchen und Geräuschen bereits zu Leben erwacht und natürliches Tageslicht erhellt die Gässchen und Straßen vollkommen ausreichend. Besonders spektakulär ist der Sonnenuntergang am Meer. Innerhalb von Minuten versinkt eine große, zinnoberrote Kugel ins Meer und nimmt binnen kürze das gesamte Licht mit. Es erstaunt mich jedes Mal wieder, dass sich Lichtspektrum und Größe  eines Sternes bereits dann verändert, wenn man auf einem seiner Planeten mehrere Kilometer reist. Auch der Nachthimmel hier im Kongo ist es wert, näher betrachtet zu werden. Zunächst sind bei sternenklaren Nächten zirka doppelt so viele leuchtende Himmelskörper zu sehen wie bei uns. Oft bleibe ich abends wenn wir von den Chorproben heimkommen voller Bewunderung stehen und bestaune den Nachthimmel. Dabei werde ich von unseren kongolesischen Freunden, wegen meinem in ihren Augen kindischen Benehmen ausgelacht. Mein kindliches Staunen kann wahrscheinlich nur jemand verstehen der im Vergleich dazu den kargen, lichtverschmutzten Himmel der europäischen Peripherien kennt. Am meisten beeindruckt jedoch der afrikanische Halbmond. Dieser liegt anders als bei uns auf dem Rücken und lächelt mir abends zu wie ein Mund mit angehobenen Mundwinkeln.

 

Wenn wir den Strand also nach intensiver Beobachtung der Gestirne verlassen, müssen wir aufgrund der fortgeschrittenen Zeit meist ein Taxi nehmen. Spätabends einen passenden Bus zu finden bleibt ein Kunststück das uns nicht immer gelingt.

 

Der Wahl an Transportmittel für unsere allwöchentliche Odyssee sind keine Grenzen gesetzt. Letzten Montag (unser freier Tag) nahmen wir zum Beispiel den Zug zum Strand. Unweit der Pfarre befindet sich der Bahnhof unseres Viertels, dessen Verwendungszweck von den Kongolesen oft missbraucht wird. Sowohl Bahnsteig (gibt nur einen) als auch Gleise sind zu jeder Tageszeit gefüllt mit Menschen. Tagsüber dient der Bahnhof als Markt- und Umschlagplatz und in der Nacht wird er für viele Heimatlose (wenn auch illegal) zur Lagerstätte. Die paar Mal am Tag, an denen der Zug vorbeikommt, kündigt er sich schon von weitem durch lautes Pfeifen an. Es ist eher ein tiefes Brummen wie es nur Dieselloks zustande bringen. Der Lokführer muss damit nicht nur die Menschen von den Gleisen vertreiben, sondern auch den Autos an den unbewachten Bahnübergängen klarmachen, dass sie nicht mehr auf die Gleise fahren sollen. Dieses Unterfangen ist sowohl für Zug als auch Autofahrer nicht ungefährlich, da die Unbekannte „Stau“ noch mit einberechnet werden muss. Der französische Priesterstudent erzählte uns mit belegter Stimme, dass er mit dem Pickup der Pfarre im Stau eingezwängt auf den Gleisen stand und dann plötzlich das wohlbekannte Pfeifen des Zuges vernahm. In letzter Not und dank einiger halsbrecherischen Manöver ist es ihm gelungen sich rechtzeitig aus seiner misslichen Lage zu befreien.

 

Neben der modernen Zuggarnitur, die viermal pro Woche  zwischen den zwei größten Städten des Landes: Pointe-Noire und Brazzaville pendelt, gibt es auch noch den „gemütlichen Zug“ laut Ticket offiziell „Schul-Zug“ genannt. Jener fährt nur ins wenige Kilometer außerhalb gelegene Dorf N‘Gondi und retour. Allein für die 3 Kilometer von unserem Viertel bis zum Hauptbahnhof braucht er eine halbe Stunde. Was als Transportmittel also eher ungeeignet ist, wird für uns Abenteurer zu einem unvergesslichen Montagsausflug. Noch müde aber bereits mit einem mulmigen Gefühl im Bauch brachen wir an besagtem Morgen um 6:30 Uhr Richtung Bahnhof Tie-Tie auf. Die Diesellok mit ihren vier Waggons sollte planmäßig um7:00 Uhr ankommen, aber wir rechneten damit, womöglich sogar eine halbe Stunde länger am überfüllten Bahnsteig zu warten. Auf das Warten am Bahnsteig hatten wir uns eigentlich am wenigsten gefreut. Allein das Gebäude wirkt schon abstoßend. Auf einer freien, schlammbedeckten Fläche (manchmal als Markt verwendet) steht ein großer Betonklotz dessen Öffnungen mit ungemütlichen Eisengittern versperrt sind. Hinter einem der Gitter befindet sich die Bahnhofspolizei. Irgendwie hatten wir nicht so viel Lust auf ein Gespräch mit kongolesischen Polizisten und vermieden darum gleich das ganze Gebäude. Ein Blick in die kalten Räume genügte uns und wir beschlossen uns zu den weit und breit einzigen Frauen am Bahnsteig zu gesellen. „Schul-Zug“ finde ich eher euphemistisch ausgedrückt denn es waren anstelle der Schüler nur massenweise Arbeiter und Händler zu sehen. Bereits um 7:10 Uhr hörten wir das uns so wohlbekannte Geräusch, das den Zug ankündigt und plötzlich kam Bewegung in die Massen am Bahnsteig. Und ich verstand auch gleich warum sich jeder plötzlich einen Platz in erster Reihe am Gleis ergattern wollte. Man braucht nur den ohnehin schon überfüllten Zug mit den vier winzigen Waggons zu betrachten und dann den Blick zu den wartenden Mengen am Bahnsteig wenden. Man muss kein großes Mathe-Genie sein um zu erkennen, dass sich das nicht ausgehen wird. Aber wieder einmal zeigt sich: im Kongo ist alles möglich und wir bestiegen alle problemlos die Waggons. Drinnen angekommen waren wir als die einzigen zwei „Mundele“ DIE Attraktion der Reise. Uns wurden sogleich ein Platz und ein Heiratsantrag angeboten, wobei wir ersteren dankbar annahmen. Um das zweite Angebot auszuschlagen, wendeten wir wieder einmal erfolgreich unseren altbewehrten Trick an. Wir erzählten wir wären Klosterschwestern auf Mission im Kongo. Obwohl wir beide weder Kreuz noch Habit tragen, wird uns diese Ausrede immer abgekauft. Die Verehrer verziehen das Gesicht à la „So jung und Klosterschwester… was für eine Verschwendung“ und hauen dann ab.

 

Ich genoss es wieder einmal seit langem das vertraute „Padum-padum“ der rollenden Räder zu hören und noch mehr in die vom Anblick Weißer im Zug erstaunten Gesichter der Passanten zu sehen. Die Waggontüren blieben die ganze Strecke lang geöffnet sodass ständig junge Männer auf- und absprangen. Die Karten wurden im Zug selbst verkauft und kosten für die gesamte Reise € 0,23, ein billiger Spaß also. Bei den verschiedenen Halts auf der Strecke, die oft nur durch ein kleines Signal gekennzeichnet waren, leerte sich der Zug mehr und mehr. Schließlich tauchte links in der Ferne der Strand auf und wir wussten wir hatten unser Ziel gleich erreicht. Am Hauptbahnhof mussten wir unser gelungenes Abenteuer gleich mal mit einem Frühstück im Bahnhofscafé feiern. Darauf folgte der obligatorische Besuch am Strand und so konnten wir mit neuer, frisch aufgetankter Motivation unseren montäglichen Hausputz beginnen.

 

Irgendwie ticken hier im Kongo die Uhren anders als gewohnt. Für Neuankömmlinge (ich erinnere mich noch genau) ist das stundenlange Warten und Tratschen ziemlich anstrengend, doch hat man sich einmal an die kongolesische Zeitrechnung gewöhnt lernt man diese auch zu schätzen. „Die Besprechung beginnt um 17:00 Uhr“. Das heißt wenn wir so gegen 18:15 Uhr auftauchen reicht das völlig. „Die Versammlung zum Pfarrausflug ist um 8:00 Uhr“ bedeutet vor 10:00 Uhr fährt sowieso kein Bus weg. Allerdings kann man dabei auch ordentlich ins Fettnäpfchen treten. Am 8. Jänner fand die Patronatsfeier des Straßenkinderheims „Père Anton“ statt und der zuständige Pater Jean-Pierre versprach uns um 15:30 Uhr abzuholen. Um 15:29 saßen wir gemütlich in Joggingshosen um den Esstisch und freuten uns auf eine freie Stunde als plötzlich der Pater vor der Türe stand.

 

Die Messe fing trotz unserer Verspätung pünktlich um 17:00 Uhr an, doch offensichtlich hatte auch sonst niemand damit gerechnet. Die Gäste aus den Nachbarstraßenkinderheimen trudelten alle zwischen 17:30 Uhr und 18:00 Uhr ein. Es wurde trotzdem ein herrliches Fest mit ausgezeichnetem Essen und kongolesischer Musik. Pater Jean-Pierre sorgte mit seinen Tanzeinlagen für Stimmung unter den Jungs und um 20:00 Uhr mussten alle Gäste regelrecht mit Gewalt ins Bett gescheucht werden. Ein weiteres Highlight des Abends stand uns erst bevor. Denn aufgrund des Platzmangels im Auto mussten wir die Rückfahrt auf der Pick-up-Ladefläche verbringen. Es ist ein wahres Kunststück bei den unzähligen Schlaglöchern und Notbremsungen die Balance nicht zu verlieren. Diese sicher nicht ganz legale Spritzfahrt zählt zu den vielen großen und kleinen Abenteuern eines unvergesslichen Jahres im Kongo.

 

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Von Nikolausabenden und anderen durchwachten Nächten

Zunächst muss ich mich bei euch, liebe Leser, entschuldigen, denn ich habe mich jetzt schon eeeewig lange nicht mehr gemeldet. Schön langsam holt mich nämlich der kongolesische Alltag ein und die Tage und Wochen verrinnen viel zu schnell. Kaum ist die eine Aktivität beendet, fängt die nächste schon wieder an und – Schwupp – vergeht wieder ein Monat. Heute feiern Magda und ich unser viermonatiges Ausreisejubiläum, doch es ist eher eine Trauerfeier, weil uns auf einmal bewusst wurde, dass ein Jahr viel zu kurz ist um etwas auszurichten. Eigentlich benötigt man mindestens ein Jahr um die Sprache, Gewohnheiten, Strukturen der Pfarre, etc. kennen zu lernen. Leider werden wir nie über diese Kennen-Lern-Phase hinauskommen, aber wir versuchen wenigstens dieses „Hineinschnuppern“ gründlich auszuführen und darum lasse ich zurzeit so „Banalitäten“ wie Blogschreiben oder Kontakthalten mit Österreich zu sehr schleifen.

 

 

Ich habe außerdem mit Schrecken festgestellt, dass ich Euch noch nie eine ausführliche Beschreibung von den Teilprojekten der Pfarre St. Jean Bosco geschrieben habe. Neben den Gruppen und Bruderschaften (siehe letzter Blogeintrag) gibt es nämlich noch unzählige andere Aktivitäten in der Pfarre, angefangen von Schulen bis zu Gefängnisseelsorge.

 

Da das Unterrichten zu unseren Hauptaufgaben gehört, möchte ich zunächst die beiden Schulen näher beschreiben: Die „École Dominique Savio“, ein Schulkomplex bestehend aus Vollksschule, Mittelschule und - seit heuer -  Gymnasium sowie das „Centre de formation professionelle“, eine Berufsschule für Mechanik, Automechanik, Schweißen, Tischlerei und Elektronik.

 

  •         École dominique savio

 

Die Schule wurde 2007 vom damaligen Praktikant Frater Simplice Tchoungang gegründet und umfasste anfangs nur die ersten drei Klassen (CP1&2, CE1). Fr. Simplice war bis 2009 Direktor der Schule und wurde mit kurzer Unterbrechung von P. Alain abgelöst. Seither wird jedes Jahr eine neue Klasse eröffnet, heuer bereits die erste Klasse der Gymnasialoberstufe. Das kongolesische Schulsystem funktioniert ähnlich dem Französischen und wird aufgeteilt in École Primaire (die Klassen CP1, CP2, CE1, CE2, CM1 und CM2), Collège (6e, 5e, 4e und 3e) und seit heuer gibt es die erste Klasse des Lycées, die Seconde. Ich unterrichte die Klassen CE1, CM2 und 5e in Englisch sowie 5e auch Deutsch. Mit „meinen“ Schülern der 5. Klasse haben wir auch heuer wieder mit dem Freigegenstand „Bibliotheksratten“ begonnen, einem Buchklub der die Schüler zum Lesen motivieren soll. Wir treffen uns einmal in der Woche, lesen, besprechen Bücher und haben uns bei der Stadtbibliothek (dem Institut Français) inskribiert. Momentan sind wir damit beschäftigt eine Brieffreundschaft mit meiner ehemaligen Hauptschule in Österreich aufzubauen. Auf jeden Fall kann ich jetzt schon stolz behaupten, alle Namen meiner 5-Klässler zu kennen (obwohl ich immer noch nicht herausgefunden habe wie ich die drei Sarahs auseinanderhalten kann).

 

 

Die Schule ist eine katholische Privatschule und die Schüler müssen Schulgeld bezahlen. Die Inskription kostet je nach Klasse zwischen 5€ und 9€ und das monatliche Schulgeld beträgt zwischen 10€ und 25€. Der aktuelle Direktor, P. Jerry, konnte im Oktober 2015 feierlich die Eröffnung des neuen zweistöckigen Schulgebäudes feiern. Momentan gibt es 35 Lehrer und Mitarbeiter an der Schule sowie ca. 400 Schüler.

 

 

 

  •         Centre de formation professionelle

 

Die Berufsschule wurde vor 50 Jahren gegründet und gehört somit von Anfang an zur Pfarre. Sie wird aktuell von der Europäischen Union finanziell unterstützt. Der ehemalige Direktor, P.Kevin, hat ein Projektansuchen eingereicht und dieses wurde von der EU bewilligt. Die EU bezahlt zu 90% die Projektkosten, die restlichen 10% werden von einer spanischen, salesianernahen Organisation namens „Jovenes y Desarrollo“ beigesteuert. Im Rahmen des Projektes wurde bereits der Neubau der Berufsschule in Angriff genommen (Fertigstellung Juni 2015) und die verschiedenen Werkstätten konnten ausgestattet werden. Zur Kontrolle der finanziellen Ausgaben arbeitet ein Spanier namens Vincente für die beiden Organisationen und logiert dafür gratis bei den Patres.

 

Die technische Ausbildung dauert drei Jahre inklusive obligatorischem Praktikum. Zudem wird noch ein Abendkurs Informatik und eine Schnellausbildung (Dauer 6 Monate) angeboten.  Seit heuer wird die Schule von P. Alcide, einem Italiener, und Fr. Alain geleitet. Ich unterrichte Englisch in zwei ersten Klassen (89 bzw. 39 Schüler) und einer dritten Klasse (5 Schüler). Wir befinden uns gerade am Ende des ersten Trimesters und sind daher mitten in der Test-Phase. Ich musste bereits feststellen, dass das Korrigieren von über 200 Schularbeiten nicht eine Arbeit von zwei Minuten ist. Die Sekretärin der Berufsschule hat mir allerdings die Aufgabe erleichtert indem sie vergessen hatte die letzte Nummer des Testes auszudrucken. Damit hat sie nicht nur mich glücklich gemacht, sondern auch die Schüler, die von der Leichtigkeit meines Testes so begeistert waren, dass ich nicht mehr den Schulhof überqueren konnte, ohne von einer Horde von wildgewordenen Teenager bejubelt zu werden (kein Wunder- es fehlte ja die zweite Seite der Schularbeit). Nachdem mein anfänglicher Ärger (nächstes Mal gib ich die Schularbeit in PDF-Format ab!) verflogen war, habe ich mich dazu entschieden den Schülern die fehlenden 10 Punkte zu schenken und habe so die Noten einiger Kandidaten gerettet, die jetzt 14 von 40 Punkten haben.

 

 

Beide Schulen haben einen sehr guten Ruf, sind aber wegen des Schulgeldes nicht für jeden leistbar. Ein 40-Stunden-Job bei dem man mehr als hundert Euro im Monat bekommt, ist hier nämlich schon sehr gut bezahlt. Ein Lehrer an der Berufsschule (und damit ein Topverdiener) hat einen Stundelohn von umgerechnet ca. 4€. Außerdem müssen neben dem Schulgeld pro Kind auch noch Schuluniform, Jause, Schulbus und Schulbücher bezahlt werden.

 

Zwei weitere Aufgabenbereiche der Pfarre sind das Straßenkinderheim „Père Anton“ und die Gefängnisseelsorge.

 

  •         Foyer Père Anton

 

Das „Foyer Père Anton“ ist ein Heim für Burschen zwischen 7 und 16 Jahren, die sonst auf der Straße leben würden. Es wurde 2009 vom heutigen Bischof P. Miguel gegründet und bietet Platz für bis zu 20 verstoßene beziehungsweise verwaiste Burschen. Momentan leben dort 15 Burschen, die zum größten Teil an der „école dominique savio“ zur Schule gehen. Es gibt drei Betreuer, die unter der spirituellen Leitung von P. Jean-Pière die Jungs begleiten. Das Ziel des Heimes ist seinen Schützlingen eine Unterkunft, Ausbildung und einen raschen Einstieg in die Selbstständigkeit zu bieten. Mit 16 Jahren werden die Burschen nämlich „entlassen“ allerdings wird ihnen noch für 3 weitere Jahre ihre Ausbildung (teil)finanziert. Magdalena und ich machen jeden Mittwochnachmittag Sport mit den Burschen, oder helfen ihnen bei den Hausaufgaben. Außerdem haben wir mit ihnen eine Nikolaus-Feier organisiert. In der Nacht vom 5. auf 6. Dezember übernachteten wir bei den Burschen, nicht ohne ihnen vorher die Geschichte vom hl. Nikolaus und den Getreidesäcken zu erzählen. Die Weihnachtskekse, die wir eigentlich mit ihnen backen wollten, mussten aufgrund der Umstände Palatschinken weichen. Es gibt im Heim nämlich keinen Backofen und auf dem Kohlefeuer in der Pfanne Kekse „backen“ war leider kein Erfolg. Da wir die 15 traurigen Gesichter, die sich im Dunkeln (es war wieder mal Stromausfall) gespannt über die Pfanne beugten, nicht aushielten, haben Magda und ich kurzerhand umdisponiert und einen Palatschinkenteig gemacht. Diese funktionieren Gott-Sei-Dank auch im Dunkeln, in einer Pfanne über dem Lagerfeuer und retteten den Nikolausabend. Als wir dann alle gemeinsam im Kerzenlicht die Palatschinken mampften und dabei lautstark „Lustig-Lustig Tralalalala! Bald ist Nikolaus-Abend da!“ brüllten war der Abend perfekt und es brauchte einige Überredungskunst um unsere energiegeladenen Schützlinge ins Bett zu bekommen. Doch vorher durfte, nach alter niederländischer Sitte (Magda und ich sind ja beide Halb-Holländer), das Schuhstellen nicht vergessen werden. In Holland stellen die Kinder nämlich ihren Schuh vor die Tür und wenn man brav war kommt der Nikolaus (in dem Fall Magda und Ich) in der Nacht vorbei und legt was Süßes hinein. Und wirklich: die Burschen staunten nicht schlecht als am nächsten Morgen in Jedem Schuh ein Schlecker und ein Farbstift drinnen war. Das hob natürlich auch die Laune der beiden Nikoläuse, die aufgrund ihrer nächtlichen Aktivitäten nicht viel geschlafen hatten und um 5:30 Uhr durch den Lärm der sich freuenden Burschen wieder geweckt wurden.

 

 

 

 Außerdem gibt es seit diesem Jahr eine Zweigstelle, das „neue Foyer“:  ein Tages-Straßenkinderheim, das um vier Uhr nachmittags die Pforten schließt. Hier werden täglich Burschen  verköstigt, die sonst ihre Freizeit auf der Straße verbringen würden. Das Ziel dieses Tagesheimes ist den Burschen eine warme Mahlzeit pro Tag anzubieten und ihre Freizeit ein wenig abwechslungsreicher zu gestalten. Langfristig versucht P. Jean-Pière mit der Leiterin ein Zuhause für die Jungs zu finden beziehungsweise sie wieder in ihre Familie einzugliedern sofern diese noch vorhanden ist. Die Jungs in diesem Foyer schlafen zum größten Teil auf der Straße und besuchen keine Schule. Für die Medizinische Versorgung der beiden Heime ist „SAMI-social“, eine französische NGO, verantwortlich. Diese Organisation finanziert sich wie die beiden Heime durch Spenden.

 

 

 

  •         das Gefängnis

 

Die Pfarre ist für das Frühstück und ein Mal im Monat für die Messe im Gefängnis verantwortlich. Maman Josephine fährt jeden Tag, mit Lebensmittel ausgestattet von P. Valentino, (er kennt viele Supermärkte, die ihm Lebensmittel spenden und vor allem in der Erdölszene viele potentielle Spender)  ins Gefängnis und bereitet dort das Frühstück zu. Dabei „besticht“ sie das Betreuer Personal täglich mit illustrierten Magazinen, die P. Valentino irgendwo auftreibt. Auch im Gefängnis zeigt sich dass man mit ausreichenden finanziellen Mitteln vieles erreichen kann: Einzelzellen, doppelte Essensportion, Tabak, Frauen und schließlich die Freiheit, wie die Insiderin Josephine zu berichten weiß. Das Gefängnis stammt noch aus der Zeit der französischen Kolonialherrschaft und ist für rund 70 Gefangene ausgelegt. Momentan befinden sich dort über 300 vorwiegend junge Männer. Vom Staat ist nur eine Mahlzeit am Tag vorgesehen und darum organisiert die Pfarre das Frühstück. Ein Mal im Monat begleite ich Josephine, helfe ihr beim Tragen und Teile mit ihr das Essen aus. Wenn wir zu zweit auf der Straße unterwegs sind, werden wir oft von ehemaligen Häftlingen angeplaudert, die vor der alten Dame größten Respekt besitzen. Sie ist die einzige Frau Pointe-Noires, die ohne Angst vor Diebstahl mit ihrer Handtasche spazieren gehen kann. Sie genießt nämlich den Schutz sämtlicher Diebstahl-Mafia-Oberhäupter, die ihr alle vom Gefängnis gut bekannt sind.  Zu Weihnachten organisiert sie gemeinsam mit dem Bischof ein Festessen für die Häftlinge und zu dieser Gelegenheit werden die Insassen (wohl das einzige Mal im Jahr) mit Zahnbürsten, Unterwäsche und ähnlichen Gebrauchsgegenständen beschenkt.

 

 

 

Ich habe den Eindruck, dass Weihnachten hier für viele Menschen ein gewöhnlicher Tag wie jeder andere ist. Mit Ausnahme der Messe am Abend gibt es - soweit ich weiß - keinen besonderen Brauch wie bei uns das Ausräuchern oder Gräberbesuchen. Die meisten Leute mit denen ich gesprochen habe, verbringen den 25. Dezember mit der Familie oder gehen sogar arbeiten. Die Adventzeit nimmt hier auch keine so große Rolle ein wie zum Teil in Österreich. Der einzige Adventkranz Kongos (davon sind wir zu mindestens überzeugt) befindet  sich in unserem Häuschen. In einem Anflug von Nostalgie haben Magda und ich uns einige Palmblätter geschnappt (Nadelbäume sind hier sehr rar), diese um einen Metallreifen gewickelt und vier Kerzen drauf gesteckt. Das Resultat ist eine kongolesische Adaption eines europäischen Brauches, der von unseren Freunden anfangs interessiert aber auch mit Argwohn betrachtet wurde. Mittlerweile ist das erste, was unsere Besucher machen, sich ein Feuerzeug schnappen und den Adventkranz anzünden. Und das ca. 10 Mal pro Abend denn der Ventilator, der wegen der Hitze permanent läuft, bläst sie immer wieder aus.

 

 

 

Eine der wenigen adventlichen Aktivitäten der Pfarre war die sogenannte „Jugendrekollektion“, bei der sich über 180 Jungendliche der Pfarre in überfüllten Busse quetschten um gemeinsam in einer anderen Pfarre Adventandacht zu halten. Doch ich hatte das Gefühl, dass es in Wirklichkeit nur um den gemeinsamen Ausflug ging. Die Abfahrt war um 8:00 Uhr geplant und wir stiegen pünktlich (auf kongolesisch) um 9:30 Uhr in die Busse. Auf halbem Weg hieß es jedoch Endstation da die Sandpiste wegen Überflutung nicht mehr passierbar war. Laut singend gingen wir den restlichen Weg bis zur Pfarre St. Augustin zu Fuß. Es folgten ein Vortrag von Fr. Alain zum Thema Advent und anschließend eine Diskussionsrunde. Danach wurden die mitgebrachten Leckereien ausgepackt (erinnerte mich stark an Wandertag in der Volksschule) und brüderlich verteilt. Bei sengender Mittagshitze beteten wir in der Mariengrotte einen Rosenkranz und zum Abschluss zelebrierte P. Jerry die Messe. Der richtige Spaß begann erst nach Ende des Programmes beim Warten auf die Busse. Die Animateure (so ähnlich wie Jungschargruppenleiter) holten ihr ganzes Können hervor und wir spielten, tanzten und schrieen irgendwelche dummen Sprechchöre. Die ganze Heimreise wurde weiter gejohlt und geschrien und die Atmosphäre war kongolesisch heiß. Nach solchen Tagen (von denen es in unserer Pfarre mehr als genug gibt) fällt man müde, aber zufrieden ins Bett und schläft trotz Moskitos felsenfest.

 

 

 

Nicht ganz so gut geschlafen habe ich in der Nacht vom 26. November auf einer Matte am Boden neben zwei pausenlos bespielten Trommeln. Aber von Anfang an: Am 20. November ist ein Mitglied unseres Chores, Edith, verstorben und das bedeutet jeden Abend Nachtwache. Ab 18:00 Uhr trifft der ganze Chor bei den Angehörigen der Verstorbenen ein. Vor dem Haus wurden unzählige Stühle und sogar ein Partyzelt (man muss ja immer mit Regen rechnen) aufgestellt. Als wir dort ankamen waren bereits viele Nachbarn und Bekannte da. Edith war erst 26 Jahre alt und es hat sich herumgesprochen, dass sie bereits seit 2009 gegen AIDS kämpfte. Andere behaupten wiederum, es sei Krebs gewesen; auf jeden Fall ist die Anteilnahme der Trauernden groß. Wir setzten uns gemütlich zu den anderen Chormitgliedern, plauderten ein wenig und warteten bis es losgeht. Die Leute kamen und gingen, setzten sich nieder und standen wieder auf aber „es“ begann nicht. Schließlich stellte sich heraus, dass das Dasitzen und Anteilnahme zeigen alles ist, was man bei der sogenannten „Veillée“ macht. Man plaudert, denkt nach, betrachtet den wunderschönen, kongolesischen Mond, der auf dem Rücken liegt und geht um 22:00 wieder nach Hause. Damit war das Abendprogramm der folgenden Woche schon festgelegt. Täglich trafen wir uns mit dem Chor bei den Angehörigen und in den folgenden Nächten hatten einige Chormitglieder ihre Trommeln und Rasseln mitgenommen. Die Frauen stimmten daraufhin herzzerreißende Trauerlieder auf Munukutuba an, und allein schon von der Melodie (den Text hab ich ja nicht verstanden) sprangen mir Tränen in die Augen. In der letzten Nacht vor dem Begräbnis ist es üblich, dass alle Trauernden bei der Familie übernachten. Im Haus war ein leerer Sarg aufgebahrt, um den die Trauernden laut schreiend und weinend herumgingen und Ediths Namen riefen. Gemeinsam wurde geschrien, geschluchzt und den Emotionen freien Lauf gelassen. Der Chor hatte Lautsprecher mitgenommen und die ganze Nacht wurde die ganze Nachbarschaft mit kongolesischer Musik beschallt. Diese lieferte sich wiederum einen Wettbewerb mit den Trommlern unseres Chores, wer am lautesten war. Magda und ich entschieden uns spontan auch dort zu übernachten, borgten uns von einem Freund eine Strohmatte aus und beschlagnahmten den letzten freien Platz: nämlich direkt neben den Trommeln. Von Moskitos und Musik geplagt, verbrachten wir also die Nacht halb schlafend –halb plaudernd bei der Veillée nur um um 5:00 Uhr kurz nach Hause zu gehen, zu duschen und gleich danach den Unterricht zu beginnen. Mit dem Mittagsschlaf mussten wir allerdings noch bis nach dem Begräbnis warten, das noch den ganzen Nachmittag dauerte.

 

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Alltag?-gibt es nicht!


Während Ihr euch, liebe Leser, zu Hause gemütlich mit einer Decke zum eingeheizten Kamin kuschelt, eine Martinigans in den Ofen schiebt, oder sonst irgendwelche winterlichen Aktivitäten unternimmt, überlege ich hier verzweifelt wie ich mich bei sommerlichen Temperaturen in Winterstimmung versetzen kann. Hier in Pointe-Noire, knapp unter dem Äquator, hat sich seit meiner Ankunft der Sonnenauf- bzw. –Untergang um keine Sekunde verändert. Meine innere Jahresuhr erwartet schon seit Wochen (vergeblich) dass die Tage kürzer werden und die Temperaturen sinken. Darum ist meine innere Uhr ungefähr Mitte September stecken geblieben und ich fühle mich als befände ich mich bereits seit zwei Monaten im Spätsommer. Als ich gestern wach wurde und mir einfiel, dass in zwei Wochen schon die ersten Adventmärkte öffnen, hab ich erst einmal einen ziemlichen Schock bekommen. Adventstimmung bei tropischer Hitze und beinahe täglichen Regengüssen? das geht nicht. Aber Feierstimmung herrscht bei uns in der Pfarre trotzdem- wenn auch keine winterliche.


Letztes Wochenende wurde nämlich in einer feierlichen zweieinhalbstündigen Messe das Pastorale Jahr vom Bischof eröffnet. Jetzt beginnen offiziell alle Aktivitäten der Pfarre: alle Gruppen, Vereinigungen, Chöre und Bruderschaffen der Pfarre haben sich und ihre vielseitigen Tätigkeitsbereiche vorgestellt. Einen Überblick über diese 63 Organisationen zu erhalten ist nicht so leicht, vor allem weil die Koordination bei dieser Anzahl nicht so leicht ist und manche Gruppen mehr oder auch weniger aktiv sind. Aber ich werde mein Bestes geben dieses äußerst komplizierte Pfarrleben zu beschreiben. Ich beginne bei den Chören: Es gibt in unserer Pfarre 6 aktive Chöre, der größte - Christ König - hat über 100 Mitglieder (natürlich nicht alle aktiv). Er ist für die elf Uhr Messe am Sonntag verantwortlich. Der Jugendchor „die Engel“ singt bei der Jugendmesse um acht Uhr, wie der Chor Christ König auf Französisch, Munukutuba und anderen hiesigen Sprachen. Bei der englischen Messe um 9:30 Uhr singt der Chor „Don Bosco“ größtenteils bestehend aus der nigerianischen Gemeinschaft der Pfarre auf Englisch. Die Messe am Abend um 18:00 Uhr wird vom Gregorianischen Choral gestaltet, der auch häufig auf Latein singt und wahrscheinlich auch der kleinste Chor der Pfarre ist. Dann gibt es noch den Chor „Mama Maguerite“ benannt nach der Mutter von Don Bosco, der in der inkorporierten Pfarre Tchimbambuka singt. Die meisten Chöre proben drei Mal pro Woche am Abend und dementsprechend professionell klingt das sonntägliche Resultat. Jeder Chor besitzt auch eigene Lautsprecheranlagen, Keyboards, Trommeln und so weiter um die Kirche ausreichend beschallen zu können. Magdalena und ich haben uns nach längerem Ausprobieren und Überlegen für den englischen Chor entschieden um unsere schwindenden Englischkenntnisse aufzubessern.


Und bei den Messen unter der Woche? Da gibt es natürlich auch eine musikalische Begleitung. Für jeden Wochentag gibt es eine verantwortliche Bruderschaft die mit Trommeln, Rasseln und Tamburin ausgestattet die Messe gestalten. An dieser Stelle muss ich die Bruderschaften erklären, denn für Nicht-Kongolesen klingt das vielleicht ein wenig befremdend. Die Gemeinschaften, bestehend aus 20-70 meist weiblichen Mitgliedern, treffen sich mindestens einmal pro Woche zum Gebet, Gesang aber auch zur Fortbildung. Die Bruderschaften sind einem gewissen Heiligen oder einer berühmten Figur der kongolesischen Kirche geweiht und ihre Tätigkeiten richten sich entsprechend nach ihrem Patronen. Da gibt es zum Beispiel die Legion Mariens die in den Marienmonaten Mai und Oktober zusätzlich zu ihren regulären Treffen in der Mariengrotte Rosenkranz beten. Oder die Gemeinschaft Emile Biayenda, benannt nach einem kongolesischem Kardinal und Märtyrer der aufgrund seines Einsatzes für das kongolesische Volk in den 70er Jahren ermordet wurde, so wurde mir erzählt.


Damit man die Mitglieder einer Vereinigung kennt, tragen sie während der Messe bunte Kopftücher, die mit ihren Schutzpatronen bedruckt sind. So hat die Bruderschaft der Heiligen Rita, die für die Messe am Mittwoch verantwortlich ist, rosarote Kopftücher mit dem Bild der Heiligen Rita. Außerdem hat jede Bruderschaft eigene Parolen, die während der Messe laut proklamiert werden. Nicht selten unterbricht der Pfarrer seine Predigt und schreit ins Mikrophon: „Saint Michel!“ und die Bruderschaft des Heiligen Michaels antwortet einstimmig: „Beschütze uns im Kampf!“ um nur ein Beispiel zu nennen. Die Bruderschaft übernimmt aber auch die Funktion einer Versicherung. Die wenigsten Menschen sind hier staatlich oder privat versichert. Wenn man also krank wird und finanzielle Unterstützung bei der Behandlung benötigt, dann legen einfach alle Mitbrüder ihr Erspartes zusammen und helfen dem Patienten aus der schwierigen Lage. Die kranken Mitglieder werden natürlich auch zu Hause besucht und durch das Gebet und dem guten Willen der Bruderschaft ist man schnell wieder gesund. Insgesamt sind die Gruppen sehr gut organisiert und wenn sie für eine Aufgabe eingeteilt werden (wie die monatliche Essensvergabe im Gefängnis) dann kann man sich darauf verlassen, dass diese ordnungsgemäß erledigt wird. Immerhin will sich keine Bruderschaft nachsagen lassen, dass sie faul und unordentlich ist. Wie in jedem sozialem Gefüge ist der soziale Druck vorhanden und die gegenseitige Kontrolle tut ihr Übriges.


Auch für die Jugend gibt es genügend Gruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten denen man meist gratis beitreten kann. Die einzigen Gruppen, die auch in Österreich bekannt sind, sind die Pfadfinder und die Ministranten, hier „Samuel“ genannt. Ministrieren dürfen hier allerdings nur Burschen, für die Mädchen gibt es die „Elisas“, deren Mitglieder in Bunten Kostümen sonntags während der Messe Cheerleader-ähnliche Tänze aufführen. Außerdem gibt es noch viele andere Gruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die natürlich wie die Erwachsenen Parolen und bedruckte Tücher haben:

  • die „Freunde von Don Bosco“ deren Schwerpunkt auf Spiel und Hausaufgabenbetreuung liegt
  • „Yambote“, im Wesentlichen eine Tanzgruppe
  • „Kisito“ bereitet in ihren Fortbildungen auf die Ehe vor
  • „Telema“ mit Fokus auf Gebet und Fortbildung
  • „Jugend des Lichtes“
  • „Freunde von Dominique Savio“ benannt nach einem Schüler Don Boscos der als Kind starb und dessen Ziel es war Heilig zu werden. u.v.m.

Die Jugendgruppen treffen sich meistens samstags oder sonntags und wie bei der Jungschar treffen sich die Verantwortlichen öfter um die Versammlungen zu planen. Magda und ich haben aber noch nicht genau herausgefunden was jetzt der Unterschied zwischen den zahlreichen Gruppen ist und haben uns drum noch nicht entschieden wo wir mitmachen.


Wie Ihr Euch, liebe Leser, vorstellen könnt, ist es bei 63 (ja ich hab sie gezählt) Vereinigungen und Gruppen der Pfarre niemals still auf dem Areal und in den Versammlungsräumen rund um die Kirche. Wenn man abends zwischen 18:00 und 20:00 Uhr in der Pfarre herumgeht, könnte man glauben, dass man auf einem Zeltfest gelandet ist. Überall stehen Leute herum, die tratschen oder sich einfach in der Pfarre mit ihren Freunden treffen. Es herrscht eine angenehme Atmosphäre und aus mindestens 3 Sälen dringt zugleich der Gesang der Chöre. Wenn wir dann um 20:00 unsere Chorprobe beendet haben, gehen wir in die Communauté, der Bereich in dem die Patres wohnen, und essen gemeinsam mit ihnen zu Abend. Wenn wir aber vom Mittagessen immer noch so satt sind (und das ist der Normalfall) gehen wir direkt zu uns nach Hause und lassen den Abend gemütlich mit ein paar Freunden ausklingen.  Recht lange aufbleiben gelingt hier sowieso nicht, denn am nächsten Tag wird wieder hart gearbeitet und selbst die härtesten Batterien müssen aufgeladen werden. Und die Batterie ist tatsächlich ziemlich schnell leer wenn man (so wie ich) 89 Berufsschüler zwischen 14 und 25 zugleich Englisch beibringen muss. Wenn man zum ersten Mal die Klasse betritt und von 89 Gesichtern neugierig angeblickt wird, muss man schon schlucken. Ich hatte allerdings noch nicht oft die Gelegenheit, meine Fähigkeit als Entertainer von 89, mehr an meiner Person als an meinem Fach interessierten  Burschen unter Beweis zu stellen. Die zweite Stunde ist nämlich aufgrund meiner „afrikanischen Taufe“ ausgefallen, wie mein erster Kontakt mit Malaria liebevoll von den Patres genannt wurde. Bei mir war der Ausbruch der Tropenkrankheit, gegen  die man sich nicht impfen kann, nicht zu übersehen: Innerhalb von 3 Stunden hatte ich 40,5 Grad Fieber, aber fast genauso schnell (naja zwei Tage, eine Spritze und gefühlte 20 Tabletten später) war ich wieder fit und konnte wieder vergnügt Schüler aus der Klasse rauswerfen.


Einen viel gravierenderen Einfluss auf das Schulgeschehen hatten die neuesten politischen Ereignisse hier im Kongo. Die ganze Woche vor dem Referendum (vom 26.10. 2015) war die Schule geschlossen und auch Magda und ich blieben zur Sicherheit Tag und Nacht in der Pfarre. Die Opposition hat zu Märschen, Demonstrationen und Streiks aufgerufen um die Abstimmung zu verhindern. Dementsprechend hatte das Verletzte und sogar einigen Tote zur Folge und natürlich viel Angst unter der Bevölkerung. Verkäufer, Taxifahrer und Schüler blieben zu Hause und die sonst so angefüllten Straßen waren wie leergefegt. Zur gleichen Zeit stieg der Lebensmittelpreis ums doppelte an wegen den Hamstereinkäufen, an denen unsere Pfarre auch fleißig teilnahm. Doch am meisten fiel die dauernde Polizei- und Militärpräsenz auf. Fast an jeder Straßenecke waren bewaffnete, meist ausländische Uniformierte stationiert um eventuelle Meutereien zu vermeiden. Am Sonntag in der Früh, dem Tag des Referendums, bekam die Pfarre ungewünscht Besuch vom Militär, das die Kirchenglocken um 5:00 Uhr gehört hatte. Daraufhin wurden, aus einem nicht näher genannten Grund, alle kirchlichen Aktivitäten der Pfarre (inklusive der 5 sonntäglichen Messen!!) verboten. Man hatte wohl Angst vor einer aufstachelnden Predigt.  Also feierten wir zu Fünft (zwei Paters, der Praktikant, Magdalena und ich) in einer komplett leeren Pfarre eine Privatmesse. Die Wahlbeteiligung lag, je nach Quelle, zwischen 7 und 72 Prozent und laut offiziellem Statement der Regierung hat 92 Prozent der Bevölkerung mit „JA“ für eine Konstitutionsveränderung gestimmt.


In dem ganzen Trubel um die Abstimmung haben wir fast auf unseren Nationalfeiertag vergessen. Was für die meisten Österreicher ein freier Tag mehr bedeutet, wurd hier im in Pointe-Noire zu einem spannenden Ereignis für uns und unsere Freunde. Diese waren nämlich sofort begeistert als wir vorschlugen für sie Gulasch zu kochen. Es wurde ein gemütlicher Abend mit Österreichischem Essen und Kongolesischer Musik. Eine auf dem ersten Blick unorthodoxe Mischung, die aber ausgezeichnet die kulturelle Vielfalt im Kongo wiedergibt.


Liebe Grüße aus Pointe-Noire!


P.S.: Ich freu mich über eure Rückmeldungen!


Lydia


 

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"OUI" oder "NON": das ist hier die Frage...

Der heutige Tag begann wie ein durchschnittlicher Tag hier im Projekt. 05:45 Uhr aufstehen, anschließend im Slalom den Pfützen ausweichen, schließlich die Straße unter Lebensgefahr überqueren bis wir sieben Minuten später die Kirche erreicht haben. Nach der Messe frühstücken Magdalena und ich wie gewohnt mit den anderen Paters und ich bereite vor der Englischstunde noch kurz meine Schimpftirade vor, die sich meine 35 energiegeladenen Schützlinge anhören müssen. Ich beende meinen Unterricht pünktlich zu Mittag und mache mich auf den Weg nach Hause. Kaum auf der Straße angekommen, fallen mir sofort junge Männer auf, die durch die Straße ziehend Pappkartons mit „NON“ in die Höhe halten. Mir ist sofort bewusst, dass ich hier in eine sehr politisch angeheizte Angelegenheit geraten bin. Denn mittlerweile reichen meine Französisch-Kenntnisse schon so weit, dass ich mich mit dem ein oder andern über Politik und das bevorstehende Referendum unterhalten kann. Am 25. Oktober 2015 wird hier nämlich abgestimmt, ob die Konstitution verändert werden darf oder nicht. Die Verfassung sieht es nämlich nicht vor, dass der Präsident älter als 70 ist und eine dritte Amtszeit beginnt. Der aktuelle Präsident Sassou Nguesso ist 72 Jahre alt, seit 1997 durchgehend Staatschef und bereits in seiner zweiten Amtsperiode. Wenn das Volk also am 25. Oktober „OUI“ wählt, wird die Verfassung umgeschrieben und damit indirekt eine dritte Amtsperiode des Präsidenten eingeleitet, soweit ich das richtig verstanden habe. Ein „NON“ würde eine Beibehaltung der bisherigen Konstitution von 2002 bedeuten.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf und ein wenig aufgeregt drehe ich wieder um und gehe in die Pfarre. Dort wartet Magda auf mich und sie weiß schon mehr: Heute finden in unserer Stadt Demonstrationen und Protestmärsche statt, die gegen eine Verfassungsänderung sind. Die Köchin, die zufällig in der Nähe ist, ergänzt: „Demonstranten aus dem ganzen Land treffen sich heute hier um gemeinsam zum Rathaus zu ziehen und „NON“ zu schreien. Der Präsident hat den Demonstranten verboten mit dem Zug oder dem Flugzeug anzureisen und die meisten sind daher mit dem Auto oder zu Fuß gekommen. Alle Märkte, Geschäfte und Stände sind heute geschlossen da jeder Angst vor gewaltsamen Unruhen hat.“ Sie ist jedoch davon überzeugt, dass der Präsident so oder so wiedergewählt wird und geht daher nicht wählen. Tja. Aus dem geplanten Strandausflug mit unseren Freunden wird wohl heute nichts mehr, vor allem weil wir von allen Seiten gewarnt wurden die Pfarre heute nicht zu verlassen.

Magdalena und ich können es trotzdem nicht zulassen, so ein historisches Ereignis in der Pfarre zu verschlafen ohne zuzuschauen. Wir gehen also ein paar Schritte aus dem Gelände hinaus und befinden uns mitten auf der „Rue de l’Independance“, der längsten Straße Pointe-Noires. Und schon wieder sehen wir vor allem Männer die Fahnen mit „NON“ schwenken. Wir beobachten auch vollgepackte Busse, die alle Richtung „Meeting“ aufbrechen, wie die Demonstration vorm Rathaus genannt wird.

Der Präsident selbst ist natürlich nicht in der Stadt. Vor einer Woche war er hier und hat das neue Flughafengebäude eröffnet. Während seinem Aufenthalt letzte Woche waren viele Läden und Märkte geschlossen weil sich damals schon die Einwohner Pointe-Noires vor Aufruhr gefürchtet hatten. Die Stadt selbst war natürlich bunt geschmückt. Überall hängen große Banner mit „Wir wählen einstimmig JA führ unseren Staatschef Herrn Sassou Nguesso“ oder ähnlichen Parolen. Man sah damals auch Leute, die T-Shirts trugen auf denen groß „OUI“ stand. Böse Zungen hier behaupten, dass sie Geld dafür bekamen.

Heute ist alles anders. Immer mehr Männer machen sich vor unserer Tür auf dem Weg zur Demo während wir mit den Patres Mittagessen gehen. Natürlich sind die politischen Bewegungen auch hier das Tischgesprächsthema Nummer Eins. Anstatt zu diskutieren, wer „der Herr sei mit euch“ in den meisten Sprachen sagen kann, wird heute politisiert und über mögliche Szenarien der kongolesischen Politik gesprochen. Einen Bürgerkrieg hier in Pointe-Noire? Dazu wird es nicht kommen, sind sich alle einig. Wir leben nämlich in der wirtschaftlichen Hauptstadt des Landes und daher sind alle daran interessiert, dass hier der Alltag so abläuft wie immer. Gemeinsam am Tisch mit den Patres – eine bunte Mischung aus Italienern, Kongolesen aus beiden Republiken und einem Gabunesen – hört man jedoch auch ziemlich abenteuerliche Geschichten. Der Präsident soll ja angeblich die katholischen Bischöfe mit verschiedenen Geschenken in das „OUI“-Lager eingekauft haben. Manche behaupten gar, dass er die Verfassung sowieso im Geheimen schon umgeschrieben hat. Wieder einer hat gehört, dass der Präsident als Weißer verkleidet Ärztebetrüger im Krankenhaus entlarvt hat.

Auf jeden Fall dürfte es keine starke Opposition geben, die im Stande wäre den Präsidenten auf die Finger zu schauen. Es gebe - laut Patres - auch keinen ernsthaften Gegenkandidaten bei der geplanten Präsidentschaftswahl im Juni 2016. Während unserer Unterhaltung hört man immer wieder von Weitem Sirenengeheul, Hupen und schreiende Menschen. Ein Pater berichtet, dass es im Stadtzentrum sogar schon einen Toten gebe. Ein anderer widersprach und meinte, es seien nur mehrere Personen verletzt und ein Polizeiauto zerstört. Wieder ein anderer vermutet, dass sich unter den Demonstranten pro-präsidentische Unruhestifter verstecken die dem Präsidenten Angriffsfläche bieten aufgrund ihrer Gewalttätigkeit. Der nächste wirft wiederum ein, dass wahrscheinlich alle Protestierenden von der Opposition angeheuert wurden. Außerdem werde der Präsident rund um den 25. Oktober Tribunale ins Leben rufen um die Opposition zu schwächen. Aber so ganz sicher weiß man hier nichts.

Während dieses Gesprächs muss ich einen ziemlich bestürzten Eindruck gemacht haben, denn ich werde prompt gefragt ob ich leicht jetzt Angst habe. Ich bin echt stolz auf mich, dass ich in perfektem Munukutuba („Munu ke na boma vé“) diese Frage verneinen kann, aber ein mulmiges Gefühl im Bauch bleibt. Auch die Patres machen uns klar, dass wir heute die Pfarre nicht verlassen dürfen und in nächster Zeit (bis zum Referendum) allgemein sehr vorsichtig sein sollen. Ich nutze diesen freien Nachmittag um mich ein wenig in den Medien schlauzumachen über die politische Situation hier im Kongo. Die Patres haben mir abgeraten hier zu sehr den Zeitungen zu vertrauen. Es gebe ein sehr pro-präsidentisches Blatt und natürlich das genaue Gegenteil aber die Wahrheit liege meist in der Mitte. Der französische Radiosender hat bereits vor ein paar Tagen über das Referendum berichtet (und übrigens auch über die Wien-Wahlen in Österreich) aber so ganz genau konnte ich dem Kommentator nicht folgen.

Am Nachmittag beschließen Magda und ich gemeinsam mit einem Pater nochmal hinauszuschauen. Wir kommen genau rechtzeitig um tausende junge Männer zu beobachten, wie sie singend und Fahne schwenkend von dem Meeting zurückmarschieren. Dieses Ereignis werde ich glaub ich mein Leben lang nicht vergessen. Laut grollende Männerchore, die die Kongolesische Nationalhymne schmettern. Schaulustige, die am Wegrand stehen und sich spontan den aufbegehrenden Menschenmassen anschließen. Immer wieder Militär- und Polizeifahrzeuge, die sich ihren Weg durch die langsam vorwärtsströmende Menge bahnen. Spontan umgedichtete Lieder auf Munukutuba und Französisch, die sich momentan alle gegen den Präsidenten richten. Eilig zusammengebastelte Plakate und flüchtig geschriebene Parolen auf Kartons, die laut schreiend in die Höhe gehalten werden. Und keiner dieser Demonstranten trägt eine Waffe oder wird grob gewalttätig.

Dabei darf man den ungeheuren Mut dieser Menschen nicht vergessen. Bei uns ist es eine Selbstverständlichkeit jederzeit frei seine Meinung zu äußern und offen über Politik zu sprechen. Ich habe jedoch den Eindruck, dass die Menschen hier sehr politikverdrossen sind, zum größten Teil nicht zur Wahl gehen und eigentlich nichts sehnlicher wünschen als Frieden und Freiheit. Und genau für diese Werte geht man hier eben auch unter großem Risiko auf die Barrikaden.

 


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Madame Lydia

Seit etwas mehr als 2 Wochen gehe ich wieder täglich in die Schule, nur diesmal nicht als Schülerin sondern als Lehrerin. Madame Lydia eben. Ehrlich gesagt, als Schüler unterschätzt man die Arbeit gewaltig, die hinter einer Schulstunde steckt. Wenn ich mal keine Hausaufgabe gemacht habe, war das als Schüler ziemlich egal, aber spontan eine Doppelstunde Englisch halten - ohne Vorbereitung – das funktioniert nicht! Die größte Herausforderung ist nämlich, dass die Schüler keine Englisch- oder Deutschbücher besitzen. Sie haben nur ein Heft in dem sie das Gelernte von der Tafel abschreiben. Und in einer Klasse mit 35 Schülern ist das nicht so leicht. Wenn die Ersten fertig sind haben die anderen noch nicht einmal ihr Heft ausgepackt. Außerdem regen sich meine Schüler immer auf weil sie meine Schrift nicht lesen können. Okay, ich weiß, dass ich nicht besonders schön schreibe, aber nachdem ich zum (gefühlten) hundertsten Mal erklärt habe, dass das ein „t“ ist und kein „f“, bin ich schon etwas frustriert. Und als ich im nächsten Heft schon wieder „gufen Morgen“ lese, beschließe ich beim nächsten Mal eine Kopie auszuteilen.

Eine brauchbare Kopiervorlage zu erstellen braucht zwar viel Zeit aber es lohnt sich: Man verliert keine Zeit beim abschreiben und kann gleich verschiedene Aufgaben zum Neu-Gelernten mit kopieren. Der Schock kam nur in der darauffolgenden Stunde: die Hälfte der Schüler hat den Zettel vergessen und die andere Hälfte hat einen zerknitterten unlesbaren Papierfetzen aus der Schultasche geholt. Also hole ich wieder die Kreide heraus und beginne wieder mit meiner Krakelschrift die Tafel zu verzieren. Dann wäre da noch die Sache mit den Namen. Ich habe 6 neue Klassen mit jeweils rund 35-40 Schülerinnen und Schüler. Das macht rund 200 Namen die ich lernen muss. Und Namen wie „Sahara Justance“ oder „Anaclet Emmanuel“ merkt man sich nicht so gut. Und dazu kommt, dass die Mädchen gefühlt alle 3 Wochen ihre Frisur wechseln.

Aber als frischgetaufte Lehrerin erlebt man auch schöne Momente. Wenn man zum Beispiel am Schulhof ganz begeistert von den Kleinsten mit „good morning“ begrüßt wird, schlägt jedes Lehrerherz höher. Gerade für meine jüngsten Schüler (rund 7 Jahre) musste ich lange überlegen wie ich den Unterricht gestalte. Einerseits will ich nicht zu viel schriftlich machen sondern eher spielen und singen aber ohne Englischbuch ist das nicht so leicht. Also habe ich viele Kärtchen und Bilder gemalt mit aufgehenden Sonnen und lachenden Gesichtern für „good morning“ und „I’m fine thanks“. In meiner jüngsten Volksschul-Klasse bleibt die Klassenlehrerin immer dabei und macht selbst auch fleißig mit weil sie auch Englisch lernen will. Das hat den praktischen Nebeneffekt, dass die Schüler ruhiger sind, denn die Lehrer hier greifen meistens strenger durch und achten mehr auf Disziplin und Ordnung als wir Volontäre. Aber mit bis zu 45 Schülern in der Klasse muss man wahrscheinlich auch härtere Konsequenzen setzen, wenn man die Kontrolle behalten will. Dieser Ordnungssinn ist schon so weit in den Schülern verankert, dass sie mich oft bitten einzelne Schüler zu schlagen oder vor die Tür zu stellen, nur weil sie zu laut waren. Ich habe mich gegen Körperstrafen entschieden, weil ich das einfach nicht übers Herz bring. Schüler schlagen das geht für mich nicht. Jetzt ist es halt immer ziemlich laut bei mir in der Klasse, aber dafür sind Magdalena und ich auch schnell zu den Lieblingslehrern der Schüler geworden. Wenn Ihr, liebe Leser, konstruktive Vorschläge habt wie ich ohne zu schlagen 35 energiegeladene Schüler disziplinieren kann, dann schreibt mir bitte einen Kommentar!

Schule im Kongo kann aber auch ganz anders sein. Wir haben nämlich gemeinsam mit der Schulsekretärin eine Schule für Gehörlose und Blinde besucht. Dort werden rund 50 Kinder von 6 Lehrern in Zeichensprache beziehungsweise Brailleschrift unterrichtet. Die Schule selbst wird privat geführt und ist für die Schüler kostenlos und daher immer auf Spenden angewiesen. In der Republik Kongo gibt es nur sehr wenig staatliche Schulen für beeinträchtigte Kinder und laut Schulleiter wurden sogar alle Lehrerausbildungszentren mit Schwerpunkt auf  Blinde und Gehörlose geschlossen. Daher kommen die meisten Lehrer der Schule aus dem Nachbarland, der Demokratischen Republik Kongo. Wir haben mit dem Schulleiter ausgemacht, dass wir regelmäßig mit den Schülern basteln oder spielen werden. Die Kinder freuen sich wenn man etwas mit ihnen unternimmt – egal ob man Zeichensprachen spricht oder nicht.

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Wer schön sein will muss leiden...

Dieses Sprichwort trifft leider auch auf die Schönheitsideale im Kongo zu. Ich habe nämlich beschlossen meinen Traum von kongolesischen Flechten zu verwirklichen und musste feststellen, dass das eine ziemlich aufwendige Prozedur ist. Schon kurz nach meiner Ankunft ist mir aufgefallen, dass die meisten Frauen hier aufwendige Flechtfrisuren tragen; nur die wenigsten modebewussten Kongolesinnen tragen die Haare offen. Gemeinsam mit einer Freundin habe ich also einen Friseurtermin ausgemacht. In einem durchschnittlichen Friseurladen hier in Pointe-Noire findet man Plakate mit Frisuren, sehr viel Kunsthaar, eventuell einen Spiegel und viele Polster und Matten am Boden auf denen man zum Flechten platznimmt.  Waschbecken oder Rasiergeräte fehlen hier meistens denn die Hauptaufgabe der  Frisöre ist nicht das Haareschneiden oder –färben sondern das Flechten.

 

Meine Frisörin schaut sich also meine Haare an und meint, dass zwei Packungen Kunsthaar reichen. Sie gesteht mir, dass ich die erste Europäerin bin, deren Haare sie flechtet und legt gleich los. Ich war vorbereitet auf eine lange Flecht-Session aber irgendwie habe ich die Arbeit unterschätzt: 94 Flechten und viereinhalb Stunden später bin ich fertig!! Dabei war es eigentlich ein sehr gemütlicher Nachmittag: Es wurde getratscht und gegessen (die Nachbarin hat uns mit selbstgemachten Crêpes und Getränken versorgt) während ich von bis zu drei Flechterinnen gestylt wurde. Am Anfang wusste ich zwar noch nicht, wie ich mit gefühlten 5 Kilo Haaren am Kopf schlafen sollte aber das Ziehen und Jucken wird nach der ersten Woche besser. Ja Ihr habt richtig gelesen, die Frisuren bleiben hier oft wochenlang im Haar und mit den Frisuren können sich die Frauen oft bis zu fünf Wochen lang nicht ihre Haare waschen. Doch die Kongolesinnen sind erfinderisch. Um gegen den Juckreiz anzukämpfen stecken viele Frauen Zahnstocher-ähnliche Stöckchen in ihre zentimeterdicken Frisuren um sich kratzen zu können.

 

Vor allem im Stadtzentrum begegnet man öfters einer Europäerin, aber eine „Weiße“ mit einer afrikanischen Flechtfrisur ist eine Seltenheit. Man wird auf der Straße angesprochen und wegen der Haare scherzhaft als „Ndombe“ also „Schwarze“ begrüßt. Allgemein wird hier immer sehr herzlich gegrüßt. Unter Männern schüttelt man sich die Hände und alte Freunde berühren sich zusätzlich mit der Stirn jeweils einmal  links, rechts und in der Mitte. Bei den Frauen ist es ähnlich wie in Österreich, man schüttelt sich die Hände und/oder küsst sich kurz links und rechts auf der Wange. Obligatorisch ist auf jeden Fall ein „Mbote!“ oder „ça va?!“ mit einem freundlichen Lächeln - egal wie gut man die Leute kennt.

 

Die Zeit vergeht hier in Pointe-Noire wie im Flug und wir nähern uns mit großen Schritten dem Schulanfang. Letzte Woche haben bereits die Lehrerkonferenzen begonnen. Wir sitzen gemütlich beisammen und überdenken die Leitgedanken der Schule. Dem Direktor der Grundschule ist es ein besonders Anliegen katholisches Gedankengut zu vermitteln, der Direktor der Berufsschule legt hingegen mehr Wert auf die Freude am Lernen. Im Rahmen der Konferenz gab es für alle Lehrer auch noch ein Pädagogik- und Didaktikseminar wo wir unter anderem lernten wie man Multiple-Choice-Aufgaben und andere „moderne“ Testformate im Unterricht einsetzt. Beendet wurden die Konferenzen mit einer leckeren, selbstzubereiteten Mahlzeit. Obwohl die Schule offiziell schon begonnen hat, haben wir Volontäre immer noch keinen passenden Stundenplan. Aber wir wissen, dass wir in sieben Klassen Englisch und in drei Klassen Deutsch unterrichten. Im Laufe des ersten Trimesters wird sich dieses anfängliche Chaos noch etwas einpendeln.

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Kongolesische Hochzeit

Jeden Samstag ist hier Hochzeitstag. In unserer Pfarre werden samstags bis zu drei Paare verheiratet und auch in vielen Häusern finden sogenannte traditionelle beziehungsweise nicht-kirchliche Hochzeiten statt. Letzten Samstag waren Magdalena und ich bei einer traditionellen Hochzeit eingeladen und hatten dort gleich die Gelegenheit mehr über Heiraten und Familie im Kongo herauszufinden. Unter „Familie“ verstehen die Kongolesen nicht nur die Kernfamilie bestehend aus Vater, Mutter und Kind sondern alle Cousins, Cousinen, Onkeln, Tanten, Großeltern sowie Stief- und angeheiratete Familie. Man darf sich auch nicht wundern wenn kongolesische Freunde auf die Frage nach ihren Geschwistern an die 20 Schwestern und Brüder aufzählen! Zum Teil sind die Eltern geschieden und wiederverheiratet, ein Elternteil ist gestorben und das andere hat einen neuen Partner gefunden, beziehungsweise manche Männer haben einfach mehrere Frauen. So kommt eine beachtliche Anzahl Kinder pro Haushalt zusammen, vor allem weil sich oft die ganze Großfamilie ein Haus teilt. Da es hier einen Frauenüberschuss gibt, ist Polygamie legal und gerade bei den Familienoberhäuptern verbreitet. Die Brautsteuer, also das Geld, das der Bräutigam der Familie der Braut zahlen muss, ist hier sehr hoch und darum heiraten viele Paare erst sehr spät, mit 40 oder 50 Jahren, um eine rasche Scheidung zu vermeiden. Es ist auch üblich, dass die Braut vor der Hochzeit mehrere Kinder zur Welt bringt um zu zeigen, dass sie fruchtbar ist.

In unseren traditionellen Kleidern fuhren wir also letzten Samstag zur Hochzeit von der Schwester eines Freundes und erregten als Weiße natürlich viel Aufmerksamkeit. Die Feier selbst beginnt am Nachmittag gegen vier Uhr. Während ein guter Bekannter der Familie in schnellem Munukutuba die Feier moderiert, plaudern die Gäste leise miteinander und diskutieren wer von den Damen das schönste Kleid hat. Später geben alle Gäste ihre Geschenke beim Brautpaar ab und die beiden werden von der tanzenden Menge in die Luft gehoben. Bei Anbruch der Dunkelheit wird jeder mit reichlich Essen versorgt und wir setzen uns gemütlich in Grüppchen zusammen zum Plaudern. Die Hochzeit endete jedoch schon ziemlich früh (gegen acht Uhr abends) da die Familie (inklusive Braut) beim Abwaschen des Geschirrs hilft.

Apropos Abwaschen, ich werde oft gefragt wie es hier in Pointe-Noire mit den sanitären Verhältnissen aussieht: In der Pfarre gibt es zwei Waschmaschinen und in jedem Gästezimmer Dusche, WC, Strom und Warmwasser. Das Geschirr wird mit der Hand abgespült: dafür ist die Köchin der Salesianer verantwortlich. Vor jedem Fenster in unserem Volontärshaus hängt ein Moskitonetz und somit sind die Tiere, die uns in der Nacht am meisten nerven, nicht die Moskitos sondern die Hähne, die ab vier Uhr morgens anfangen uns aufzuwecken. Den Luxus von Warmwasser genießen wir in unserem Volontärshaus leider nicht aber an die tägliche kalte Dusche gewöhnt man sich sehr schnell. Etwas länger brauchten wir um uns an die hiesige Müllentsorgung zu gewöhnen. Grundsätzlich landet der Müll sehr schnell auf der Straße und wird dort an Ort und Stelle verbrennt. Getrennt wird hier gar nichts von Recycling ganz zu schweigen. Zur Entsorgung vom Hausmüll kommt regelmäßig die Müllabfuhr, das heißt ein Mann mit einem großen, handgeschobenen Wagen vorbei. Erst ein paar Tage nachdem wir das erste Mal diese Entsorgungsmöglichkeit genutzt hatten, erfuhren wir zufällig von Freunden, dass es üblich ist, dem Müllmann Geld zur Entsorgung zu geben! Wir waren einfach so fixiert auf unser österreichisches System von Müllabfuhrsteuer, dass wir gar nicht daran gedacht hatten!

Meine Mitvolontärin Magdalena hat unser Volontärshaus in ihrem Blog genauer beschrieben... auf jeden Fall lesenswert!


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Die Zeit vergeht...

Do. 27. 08. 2015, 11:15 Uhr:

Voll bepackt mit Spielen machen wir uns auf den Weg ins Straßenkindertagesheim, ca. 5 Gehminuten entfernt von der Pfarre. Die Kinder bekommen dort eine warme Mahlzeit am Tag, Privatunterricht von einem Pater damit sie so schnell wie möglich in die Schule integriert werden können und natürlich viel Aufmerksamkeit von uns Volontären. Wir haben stundenlang Tischfußball gespielt und schlussendlich eine Sandburg gebaut. Doch am liebsten posieren die Jungs vor der Kamera oder machen selbst Fotos. In solchen Momenten bin ich froh, dass ich mir extra eine stoß- und sandfeste Kamera gekauft habe ;)

Mi. 02. 09. 2015, 9:45 Uhr:

Gleich nach dem Frühstück nehmen wir gemeinsam mit Madame Josephine und einem riesigen Vorrat Spaghetti ein Taxi ins Gefängnis. Unsere Pfarre ist dort nämlich für die Seelsorge zuständig - und das Frühstück. Diese ehrenamtliche Aufgabe übernimmt schon seit Jahren Madame Josephine, die deshalb in der Pfarre „die Barmherzige“ genannt wird. Also machen wir uns an die Arbeit und fangen an über offenem  Feuer in riesigen Töpfen für mehr als 200 Häftlinge Spaghetti zu kochen. Später begleiten wir Josephine bei der Essensausgabe und plaudern ein wenig mit den Häftlingen, die sich über Madame Josephine und ihren außerordentlichen Besuch freuen.

Do. 03. 09. 2015, 14:20 Uhr:

Die Köchin der Salesianer, Madame Scarlene, begleitet uns zu einer der vielen Schneidereien hier im Viertel. Die beste aber nicht die schnellste Schneiderin, um Scarlene zu zitieren, denn als wir dort ankommen müssen die letzten Stiche noch gemacht werden. Ein paar Tage zuvor haben wir uns bunte Stoffe ausgesucht und sie zur besagten Schneiderin gebracht damit wir auch endlich ein traditionelles Kleid, einen sogenannten Pagne, haben. Das Resultat ist ein farbenprächtiges, aus drei Teilen bestehendes Kostüm, das hier viele Frauen in der Kirche tragen.

Die letzten paar Tage verbringen meine Mitvolontärin Magdalena und ich allerdings damit unser zukünftiges Häuschen  zu putzen und einzurichten. Wir schlafen zurzeit in einem der Gästezimmer in der Pfarre aber in einer Woche werden wir dann in unser eigenes Haus ziehen, welches man zu Fuß in 5 Minuten erreicht. Wenn ich sage „putzen“ dann meine ich nicht kurz staubsaugen (hab ich hier übrigens noch nicht gesehen) sondern die millimeterdicke Sandschicht entfernen, die sich hier im Laufe der Zeit angesammelt hat. Die Straße vor unserem Haus gleicht nämlich eher einer Sandkiste als einem Asphaltweg und dementsprechend haben wir viel  zu tun.

Mit unserem schönen, rosaroten Häuschen haben wir einen echten Glücksgriff gemacht. Es verfügt im Gegensatz zu vielen anderen Häusern unserer Straße über Fließwasser (wenn auch kalt) und über einen ersten Stock, in dem jeder von uns sein eigenes Zimmer hat - auch keine Selbstverständlichkeit in unserem Viertel. Hier können wir Hausübungen kontrollieren, in unserer kleinen Küche den einen oder anderen Apfelstrudel backen und natürlich Freunde treffen. Bei einem dieser Treffen wurden wir zum Beispiel gefragt warum wir nicht mehr Schokolade aus Österreich mitgenommen hatten. In den Geschäften hier wird nämlich hauptsächlich überteuerte, aus Europa importierte Schokolade angeboten. Komisch, aber ich bin irgendwie immer davon ausgegangen, dass es hier Unmengen an Schokolade und Kaffee gibt, doch der einzige Kaffee den ich bisher gesehen habe war Löskaffee von Nestle aus der Dose. Viele solcher kleinen und großen Überraschungen warten täglich auf mich, die mein Leben hier erst so richtig spannend machen.


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Eine Mundele in Pointe-Noire

 Jetzt bin ich schon seit einer Woche in Pointe-Noire und ihr, liebe Leser, fragt euch sicher schon wie es mir geht und was ich hier alles erlebe. Das Schuljahr beginnt erst im Oktober also bleibt noch genug Zeit um sich einzuleben und die Stadt zu erkunden. Da ein ausführlicher Bericht alle Rahmen sprengen würde, versuche ich hier einige Impressionen aus meinem bisherigen Volontärsleben wiederzugeben.

 

Di. 18. 08. 2015, 20:15 Uhr:

Meine Mitvolontärin Magdalena und ich sitzen gemeinsam mit 7 Salesianerpatres am großen, runden Tisch in der Pfarre. Wir werden  zur Begrüßung von jedem Pater herzlich umarmt und es wird viel geplaudert und gelacht. Allerdings bekomme ich am Anfang eine fachkundige Übersetzung von unserer Vorgängerin Mirijam, damit ich dem Tischgespräch folgen kann. Auf dem Tisch befindet sich eine drehbare Platte mit Pfannen voll Fisch, Huhn, Reis oder Bohnen aber auch exotische Gerichte wie Maniok, Fufu oder Saka-Saka. Père Virgil, der Leiter des Projekts, berät mich was ich alles kosten soll und welche Gerichte sich am besten kombinieren lassen.  

 

Mi. 19.08. 2015, 6:45 Uhr:

Ich stehe heute früh auf um in die Morgenmesse auf Munukutuba (die örtliche Sprache) zu gehen, weil dort die neuen Volontäre vorgestellt werden. Ich verstehe (noch) kein Wort Munukutuba und deshalb beschränkt sich meine Teilnahme an der Messe auf das Mitklatschen zu den Liedern, die vom Kirchenchor gesungen werden. Bei den Liedern bleibt nämlich niemand am Platz sitzen, viele bewegen sich rhythmisch zum Lied und klatschen dabei enthusiastisch mit. Plötzlich schreckt mich ein lautes Zwitschern und ich schaue zum Dach: Dort oben fliegen mehrere Vögel durch die fensterartigen Löcher in der Kirchenwand  ein und aus. Dabei singen sie von niemandem beachtet ihre Variation auf die Kirchenlieder.

 

Do. 20.08.2015, 9:30 Uhr:

Mirijam nimmt Magdalena und mich mit auf den Markt um für ihr Abschlussessen einzukaufen. Man kann dort auf engstem Raum alles kaufen – von Elektrozubehör bis zu frischem Obst und Gemüse. Immer wieder bleiben wir stehen um das ein oder andere, mir gänzlich unbekannte Produkt zu kaufen. Wir kaufen eine kongolesische Variante von Erdnussbutter, die die Verkäuferin so geschickt in Palmenblätter einwickelt, dass nichts mehr von der Creme nach draußen dringen kann. Überall wo wir hinkommen hören wir den Ruf „Mundele“ was auf Munukutuba „die Weiße“ bedeutet. Ich werde also überflutet mit Geräuschen sowie Gerüchen und möchte am liebsten meine Augen nicht mehr schließen, weil es so viel zu erleben gibt.

 

Fr. 20.08.2015, 10:00 Uhr:

Wir fahren zu sechst mit dem Bus 20 Minuten ins Zentrum der Stadt und frühstücken in einem Starbucks-ähnlichen Lokal in der Innenstadt. Von Cappuccino bis Vanillecroissant bekommt man dort alles was ein europäischer Magen begehrt. Danach machen wir uns wieder auf die Suche nach einem Bus zurück zur Pfarre. Der gesamte Verkehr besteht fast ausschließlich aus Taxis und eine Art von VW-Bussen, die als öffentliche Verkehrsmittel dienen. Neben dem Lenker befindet sich im Bus meistens noch eine zweite Person, die das Geld kassiert. Doch die wahre Aufgabe dieser Person begreife ich erst jetzt: Als nämlich ein voller Bus vor uns stehen bleibt schafft er es irgendwie uns sechs hineinzuschlichten, sodass schlussendlich insgesamt 22 Personen in dem VW-Bus hocken!

 

Mo. 24.08.2015, 23:30 Uhr:

Die Sonne ist bereits vor fünf Stunden untergegangen und Mücken schwirren um die Lampen aber eine Gruppe von ca. 70  Jugendlichen sitzt beharrlich draußen und feiert ausgiebig. Warum? Vor 200 Jahren wurde in Italien der Ordensgründer der Salesianer, Giovanni Don Bosco, geboren und darum haben sich hier in Pointe-Noire Jugendliche aus allen Don-Bosco-Pfarren des Landes versammelt. Am Vortag wurde das Treffen mit einer feierlichen Messe vom Bischof eröffnet und den Nachmittag verbrachten wir spielend am Strand.

Am Abend selbst wird zunächst gegessen, daraufhin folgen Quizshows und kurze Theaterstücke rund um Don Bosco. Zwischendurch packt Pater Jerry seine Gitarre hervor und wir stimmen laut und mit Begeisterung Kirchenlieder an. Um Mitternacht gehen plötzlich alle Lichter aus und wir halten eine stimmungsvolle Andacht im  Kerzenschein mit dem Bild von Don Bosco im Zentrum. Danach schneidet eine Don-Bosco-Schwester die Torte an und die Sektkorken fliegen in die Luft. Die Stereoanlage wird voll aufgedreht und wir tanzen und feiern bis tief in die Nacht!

 

Ich hoffe ich kann euch beim nächsten Eintrag einen geordneteren Überblick über mein Leben hier geben, denn es wird noch eine Weile dauern bis ich in der Routine angekommen bin!

Wer in Pointe-Noire längere Distanzen überwinden will nimmt das Taxi oder den Bus (mit bis zu 20 Mitreisenden;)
Wer in Pointe-Noire längere Distanzen überwinden will nimmt das Taxi oder den Bus (mit bis zu 20 Mitreisenden;)
Maniok, eine Zuspeise die kalt gegessen wird und im entferntesten wie Erdäpfelknödel schmeckt
Maniok, eine Zuspeise die kalt gegessen wird und im entferntesten wie Erdäpfelknödel schmeckt
Gemeinsam am Strand, die sogenannte "Wilde Küste"
Gemeinsam am Strand, die sogenannte "Wilde Küste"
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Bald geht´s los!

Am 17. August 2015 breche ich mit meiner Mitvolontärin Magdalena aus Oberösterreich nach Pointe-Noire in die Republik Kongo auf. Ich habe von meinen Vorgängervolontärinnen schon viel über das Salesianerprojekt gehört und warte nun schon sehr gespannt auf meinen Abflug!

Das Abenteuer hat aber eigentlich schon lange begonnen, nämlich mit den Vorbereitungswochenenden in Wien. Meine Organisation „Volontariat bewegt“, die von Jugend eine Welt und den Salesianern Don Boscos unterstützt wird, hat mich und 18 andere motivierte Volontäre auf unsere Einsätze in Afrika, Indien und Lateinamerika vorbereitet. In den Kursen haben wir viel über Entwicklungszusammenarbeit, Nachhaltigkeit aber auch über die Pädagogik Don Boscos erfahren, um nur einige Punkte zu nennen. Und wir hatten natürlich auch jede Menge Spaß dabei. Über die Salesianer in Amstetten bin ich auf „Volontariat bewegt“ aufmerksam geworden und habe mir nach längerem Überlegen mein Einsatzland auch selbst ausgesucht.

Mein nächster Bericht kommt hoffentlich schon aus Pointe-Noire, doch bis dahin gibt es noch viel Organisatorisches zu erledigen und noch viele Abschiede zu überstehen!

Hier könnt ihr noch ein Bild von meiner Sendungsfeier mit den anderen Volontären sehen.

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